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Krieg “for you” – Wie nehmen Heranwachsende den Nahostkonflikt auf Social Media wahr?

Krieg “for you” – Wie nehmen Heranwachsende den Nahostkonflikt auf Social Media wahr?

01.02.2024

In personalisierten und algorithmisch kuratierten Online-Umgebungen lässt sich schwer ausmachen, welchen Kriegsinhalten Kinder und Jugendliche konkret begegnen und vor allem, wie sie die Darstellungen empfinden. Paulina Domdey, Kira Thiel und Claudia Lampert haben Schüler*innen getroffen und mit ihnen über den Nahost-Krieg auf Social Media gesprochen.
 
In unserem digitalen Zeitalter werden Kriege nicht nur in klassischen Nachrichtenmedien zum Thema, sondern auch in sozialen Medien wie TikTok und Instagram verhandelt (Domdey, Thiel, Pesci 2022; s. auch Thiel 2023).  Es wurde viel darüber diskutiert, wie man Kindern die verschiedenen aktuellen Konflikte altersgerecht erklären kann, um Ängste zu reduzieren und die Informationen besser einordnen zu können. Im Fokus standen auch die Herausforderungen, die sich daraus für die Medienpädagogik ergeben. Allerdings fehlen Erkenntnisse darüber, inwiefern Heranwachsende auf stark individualisierten und personalisierten Social-Media-Plattformen wie TikTok mit dem Thema Krieg in Berührung kommen, wie sie diese (und insbesondere das Nebeneinander von unterhaltenden und kriegsbezogenen Inhalten) empfinden und mit ihnen umgehen.
 
In unserer Forschungsgruppe “Aufwachsen in digitalen Medienumgebungen” am HBI haben wir daher den Nahostkonflikt genauer in den Blick genommen und uns damit beschäftigt, wie Jugendliche die medialen Darstellungen (insbesondere in sozialen Netzwerken) sehen. Zu diesem Zweck haben wir am 19.12.2023 mit Schüler*innen der Klassenstufen 9 und 10 eines Hamburger Gymnasiums einen Workshops durchgeführt, in dem sie mit uns ihre Sicht auf das Thema “Krieg auf Social Media” teilen konnten.[1] Die Eindrücke sind nicht nur hilfreich, um besser verstehen zu können, auf welchen Wegen die Jugendlichen mit verschiedenen kriegsbezogenen Darstellungen und Inhalten in Berührung kommen. Sie geben auch interessante Hinweise darauf, was Jugendliche beschäftigt, besorgt bzw. stresst und wie sie versuchen, die digitalen Möglichkeiten zur Vermeidung oder Bewältigung kriegsbezogener Darstellungen und Inhalte oder auch zur aktiven Anteilnahme zu nutzen.
Übers Smartphone mittendrin und nahe am Geschehen
Auf die Frage, was sie seit Anfang Oktober auf Social Media zum Gaza-Krieg gesehen haben, wurden von den teilnehmenden Jugendlichen verschiedene Inhalte genannt: Einige berichteten davon, gewalthaltige und blutige Inhalte aus dem Kriegsgebiet gesehen zu haben. Ein Junge erzählte beispielsweise von einem aus seiner Sicht besonders eindrücklichen Video, in dem ein verzweifelter Vater unter den Trümmern eines Hauses seine kleine Tochter suchte und sich beim Fund ihrer Leiche erleichtert darüber zeigte, dass sie den Krieg nun nicht mehr miterleben müsse. Auch andere Jugendliche berichteten von Videos verletzter Kinder. Zudem wurden Aufnahmen von Geiselnahmen, Bombardierungen und zerstörten Häusern thematisiert. Diese weisen teilweise unterschiedliche Perspektiven auf. Während viele dieser Aufnahmen die Perspektive und das Leid der Opfer in den Fokus zu rücken scheinen, berichtete ein Jugendlicher auch von einem Video, das offenbar aus Angreifer-Perspektive aufgenommen wurde. Zu sehen gewesen sei darin ein Fadenkreuz, gefolgt von einem kurzen Blitz, einer Explosion/Rauchwolke und schließlich die Aufnahme eines zerstörten Hauses.
Digitale Nebenkriegsschauplätze
Neben Clips, die (vermeintlich) das Kriegsgeschehen und die Lage vor Ort aus verschiedenen Perspektiven dokumentieren, wurden von den Jugendlichen auch Videos angesprochen, die den Krieg und seine Auswirkungen auf einer eher abstrakten Ebene thematisieren. Beispielsweise wurde ein Video aus Deutschland genannt, in dem die Attacke eines Schülers auf seinen Lehrer zu sehen war, nachdem dieser ihn aufgefordert hatte, eine Palästina-Flagge zu entfernen. Zudem wurde von Videos zum Boykott des Modeunternehmens Zara durch viele Kund*innen nach einer diskussionswürdigen Werbekampagne berichtet.
 
Darüber hinaus erzählten einige der Jugendlichen von Posts, deren Funktion vor allem darin besteht, Position zu beziehen, beispielsweise pro-palästinensische “Free-Palestine”- oder pro-israelische Posts. In diesem Zusammenhang fiel teilweise auch der Begriff der “Propaganda”, wobei sich nicht sagen lässt, anhand welcher Merkmale die Jugendlichen bewerten, ob es sich aus ihrer Sicht um Propaganda handelt oder nicht.
 
Bezüglich persönlicher Meinungsäußerungen verwiesen die Jugendlichen auch auf teils kontroverse Äußerungen von anderen Nutzenden in den Kommentarspalten. Diese seien aktuell nicht nur unter thematischen, kriegsbezogenen Clips zu finden, sondern auch unter Posts, die keinen Bezug zum Nahostkonflikt aufweisen. Es deutete sich zudem an, dass einige Jugendliche auf Social Media Ausschnitte aus Nachrichtensendungen gesehen hatten.
Digitale Wassermelonen als Möglichkeit der Positionierung und Anteilnahme
Eine Jugendliche, die nach eigenen Aussagen viele Personen mit palästinensischem Hintergrund kennt, berichtete, dass neben kriegsbezogenen Darstellungen und Inhalten auch viele Spendenaufrufe geteilt wurden. Andere erzählten außerdem von einem Wassermelonen-Filter, der auf TikTok viral gegangen sei und den sie selbst einige Male verwendet haben, um für Gaza zu spenden. In sozialen Medien wird das Symbol der Wassermelone, das alle Farben der palästinensischen Flagge enthält, genutzt, um einem “Shadowban” (Blockierung seitens des Anbieters) zu entgehen. Seit dem Sechstagekrieg 1967 dient die Wassermelone als Symbol der palästinensischen Solidarität. Denn Israel verbot damals die öffentliche Darstellung der Flagge in Gaza und im Westjordanland. Der Wassermelonen-Filter wurde von Jourdan Johnson, einer 27-Jährigen Content Creatorin erstellt, die verspricht, den Gewinn dieses “filter for goods” an Wohltätigkeitsorganisationen zu spenden, die Hilfe in Gaza leisten. Die Verwendung eines Filters kann für Jugendliche eine unkomplizierte Möglichkeit bieten, sich unterstützend zu fühlen und Solidarität zu zeigen (z.B. auch, indem es an den Profilnamen angeheftet wird). Bei Privatpersonen lässt sich jedoch nicht genau verfolgen, ob das Geld auch wirklich die Personen in Konfliktzonen erreicht.
 
Mit den genannten Inhalten kommen die befragten Jugendlichen nach eigener Aussage hauptsächlich auf TikTok, Instagram und YouTube in Berührung. Eine Teilnehmende nennt zudem WhatsApp, da eine Bekannte mit palästinensischen Wurzeln dort in ihrer Story etwas zum Thema gepostet habe.
Absender unbekannt – und irrelevant
Auf die Frage nach den Ersteller*innen bzw. Absender*innen der Inhalte wurden verschiedene Personengruppen genannt. Neben Bekannten sind dies u. a. Influencer*innen/Social-Media-Persönlichkeiten und Personen des öffentlichen Lebens (z. B. Schauspieler*innen) – namentlich genannt wurde Reality-TV-Teilnehmerin und Unternehmerin Kylie Jenner –, die ihre Meinung äußern und sich positionieren, sowie die Social-Media-Accounts von nationalen und internationalen Nachrichtenmedien. Von wem die einzelnen Inhalte stammen, ist für die befragten Jugendlichen in eher unübersichtlichen, schnelllebigen Medienumgebungen wie TikTok allerdings nicht immer eindeutig zu erkennen bzw. zu rekonstruieren. So stammen viele TikToks, wie ein Teilnehmender es ausdrückte, von “komischen User*innen”, deren Namen sie in der Regel nicht erinnern konnten. Was die befragten Jugendlichen aber durchaus wahrnehmen, ist, dass es pro-israelische und pro-palästinensische Lager gibt. Einige Jugendliche deuteten an, dass es ihnen nicht so sehr darum ginge, von wem genau ein Post stammt, sondern welche Position diese Person einnimmt. Ein Jugendlicher gab beispielsweise an, sich bei suspekt anmutenden Beiträgen den Kanal/das Profil anzuschauen, auf dem das Video hochgeladen wurde. Anhand der Gesamtheit der Beiträge würde er dann die Einstellung des Kanals (z.B. eher pro Israel oder pro Palästina) einschätzen, um das Gesehene besser einordnen zu können.
Zwischen gezielter Vermeidung und aktiver Auseinandersetzung
Ob die Jugendlichen aktiv nach Informationen suchen oder diesen beiläufig begegnen, scheint stark von ihrem Interesse für das Thema abzuhängen und lässt sich dementsprechend nicht pauschal beantworten. Einige Jugendliche erzählten, Plattformen wie Instagram oder TikTok vor allem zur Beschäftigung mit leichten Themen zu nutzen. Für sie steht der Spaß- und Unterhaltungsfaktor im Vordergrund. Einzelne versuchen es bewusst zu vermeiden, mit Inhalten zum Krieg zu interagieren (z.B. anklicken, liken, kommentieren), um somit ihre „For you-Page“, die TikTok Startseite, die auf den Interessen der Nutzenden basiert, bzw. ihren Algorithmus zu beeinflussen. Bei einigen wenigen scheint dies zu funktionieren, anderen werden dennoch verstörende Inhalte angezeigt, die auch als belastend wahrgenommen werden. Andere Jugendliche betonten wiederum, dass sie es wichtig finden, über Social-Media-Plattformen die Möglichkeit zu haben, an den Schicksalen der Menschen Anteil zu nehmen und Inhalte zur aktuellen Situation aus verschiedenen Perspektiven sehen zu können. Gegenwärtig nehmen sie eine deutliche Positionierung der klassischen Nachrichtenmedien in Richtung Israel und eine Vernachlässigung der palästinensischen Perspektive wahr.
Andere Schilderungen der befragten Jugendlichen deuten darauf hin, dass über Soziale Medien auch eine “aktive” Auseinandersetzung mit der Eskalation des Nahostkonflikts stattfindet. Nachdem die Heranwachsenden auf Instagram oder TikTok auf Beiträge gestoßen sind, die ihr Interesse geweckt haben, nutzen sie beispielsweise YouTube, um sich ausführlicher zu informieren und die Hintergründe zu verstehen, sprechen mit Freund*innen oder ihren Eltern über die Inhalte. Dies dient unter anderem auch der Verifikation der Inhalte. In einer Gruppe wurde von den Jugendlichen betont, dass der Algorithmus aus ihrer Sicht ziemlich genau wisse, was sie sehen wollen und was nicht.
Bedürfnis, über kriegsbezogene Inhalte in Sozialen Medien zu sprechen
In den Gesprächsrunden zeigt sich übergreifend ein großes Bedürfnis der Jugendlichen, über den Nahostkonflikt und auch kriegsbezogene Inhalte und Darstellungen auf Sozialen Netzwerken zu sprechen. Es entwickelten sich unter den Schüler*innen teilweise lebendige Diskussionen über die eine oder andere Position in diesem Konflikt, über große Demonstrationen in den Innenstädten, über mögliche Weiterentwicklungen und das Verhalten anderer Länder. Eine Heranwachsende schilderte, dass sie die grausamen Bilder von Opfern des Krieges, mit denen sie in Sozialen Medien konfrontiert wurde, gedanklich eine Weile beschäftigten, sie sich dadurch aber nicht langfristig beeinträchtigt fühlte. Dies spiegelt den Grundtenor der Gesprächsrunden wider: Eine starke emotionale Belastung durch die Kriegsinhalte auf Plattformen wie Instagram, TikTok und Co. wird in keiner Gruppe explizit thematisiert. Einige der Jugendlichen erklärten dies mit der Tatsache, persönlich nicht betroffen zu sein und keine ähnlichen Erfahrungen gemacht zu haben, weswegen eine gewisse Distanz zu den Inhalten gewahrt werden kann. Heranwachsende, die in Sozialen Netzwerken wenig bis gar keinen Kriegs-Content zu sehen bekommen, äußerten jedoch eine große Erleichterung, nicht damit konfrontiert worden zu sein.
 
Stichworte wie “Glaubwürdigkeit”, “Fake News” oder “Propaganda” wurden von den Jugendlichen immer wieder von selbst genannt. Unter den befragten Schüler*innen zeichnete sich ein gewisses Bewusstsein für diese Themen ab. Auf Nachfrage, woher sie davon wissen, berichteten sie, dass das Thema Fake News in verschiedenen Schulfächern thematisiert wurde. Ein Schüler gab an, dass sich sein kritischer Blick auf Inhalte auch durch eigene Erfahrungen entwickelt habe.

Die befragten Schüler*innen erzählten von verschiedenen Strategien, die sie anwenden, um zu überprüfen, ob die Inhalte, denen sie in sozialen Netzwerken begegnen, möglicherweise Fake News darstellen. Zum Beispiel prüfen einige, ob Bild und Tonspur von Videoinhalten zueinander passen, wie die Übersetzungen der Inhalte sind und schauen, ob verschiedene Personen, Expert*innen oder Nachrichtendienste die gleichen Informationen haben und teilen. Des Weiteren hinterfragen sie die Motivation der Profil-Inhaber*innen und überprüfen die Glaubwürdigkeit der Quellen, indem sie nach zusätzlichen Informationen suchen. Einer der Jungen betonte, dass er generell Accounts für glaubwürdiger halte, die verschiedene Perspektiven einbeziehen. Dies könnte auf ein Verständnis für die Bedeutung ausgewogener und vielseitiger Informationen verweisen. Eine der Schülerinnen gab an, häufig die Kommentare unter YouTube-Videos zu lesen, um zu bestimmen, ob der Inhalt eine pro-Israel- oder pro-Palästina-Tendenz aufweist. Dabei sei es für sie wichtig, dass die Inhalte neutral sind.
 
Auffällig ist, dass die Jugendlichen sich generell sehr selbstbewusst geben, wenn es um ihre Fähigkeiten geht, Fake News und Desinformation als solche zu erkennen. Dies steht in einem Spannungsverhältnis zu den realen Schwierigkeiten, denen selbst etablierte Nachrichtenagenturen und Medienunternehmen in diesen Zeiten bei der Überprüfung von Fakten und Quellen gegenüberstehen. Gerade vor dem Hintergrund der zunehmenden Verbreitung von Deep Fakes und KI-basierten Manipulationen ist die Identifizierung von Fake News und Desinformation höchst komplex und herausfordernd.
 
Um mit den neuen Formen von Desinformation umgehen zu können, ist eine Reflexion der eigenen Medienerfahrungen, aber auch der Kompetenzen zur Einordnung und Bewältigung spezifischer Nachrichten und Darstellung von zentraler Bedeutung. Neben Hinweisen zur Erkennung von Deep Fakes sollten aber auch Wege aufgezeigt werden, wie sich Heranwachsende vor möglicherweise belastenden Inhalten bzw. bisweilen verstörenden Eindrücken schützen können. Das offene Gespräch mit den Jugendlichen kann diesbezüglich ein erster Schritt sein (Domdey, Thiel, Pesci 2022), um ihren vielfältigen Online-Erfahrungen entsprechend Rechnung zu tragen und - in einem zweiten Schritt - angemessene Unterstützungsangebote anbieten zu können.
 
[1] An dieser Stelle möchten wir uns herzlich bei den Jugendlichen für ihre Diskussionsbereitschaft und Offenheit bedanken.

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