Rechtliche Aspekte unter besonderer Berücksichtigung des Bundestagswahlkampfs
von Vincent HofmannDieser Artikel ist Teil einer Serie zur Platform-Governance im Superwahljahr 2021.
Zusammenfassung
- Werbung hat neben der enormen wirtschaftlichen Bedeutung eine besondere Rolle in Wahlkämpfen und politischen Auseinandersetzungen.
- Anders als nicht bezahlte Inhalte kann Werbung gezielt an bestimmte Gruppen von Personen ausgespielt werden, ohne dass diese großen Einfluss auf die Inhalte nehmen könnten.
- Das Medienrecht erlaubt Sozialen Netzwerken, anders als linearen Formaten, politische Werbung ohne Beschränkung. Hinzu treten unzureichende Sanktionen bei Missachtung der inhaltlichen Werbeverbote.
- Da auf Seiten der Plattformen ein ausgeprägtes wirtschaftliches Interesse an der Verbreitung von möglichst viel Werbung steht, scheint eigenverantwortliches Vorgehen nicht erfolgsversprechend.
- Sowohl ein Verbot politischer Werbung und eine Verschärfung von Sanktionen für Verstöße gegen Werbeverbote könnten probate Mittel sein, die Verbreitung von fragwürdigen und rechtswidrigen Inhalten gegen Geld zu unterbinden.
1. Einleitung
Werbung ist die größte Finanzierungsquelle sozialer Netzwerke.[i] Diese haben ein unmittelbares finanzielles Interesse, Werbung nicht zu unterbinden und dabei eine möglichst passgenaue Reichweite zu erzielen. Getreu dem Motto von Henry Ford: „Die Hälfte der Marketingausgaben ist Müll, ich weiß nur nicht welche Hälfte“ versuchen die Netzwerke, Werbung möglichst genau an die Personen zu bringen, welche die Werbenden erreichen möchten.[ii] Dabei können auch Kinder und Jugendliche als Zielgruppe gewählt werden. Ein Test von Rest zeigte in kleinem Rahmen, dass Werbung auf Facebook auch gezielt an Jugendliche ausgespielt werden kann, auch wenn es sich um fragwürdige bis geschmacklose Inhalte handelt.[iii] Diese Studie behandelt die Frage, warum (als exemplarisches soziales Netzwerk) Facebook solche Werbung nicht ausfiltert oder deren Ausspielung (zumindest an Jüngere) verhindert und blickt auf die rechtlichen Pflichten der Plattform und die Sanktionsmechanismen bei Verstößen.2. Bestehender rechtlicher Rahmen
Werbung ist Gegenstand von Regulierung in verschiedenen Rechtsgebieten. Dabei ist zu beachten, dass Werbung grundsätzlich den gleichen Regeln unterliegt wie nicht bezahlte Inhalte. Der Besonderheit von Werbung als Tausch von Geld gegen Reichweite zum Transport einer Botschaft Rechnung tragend, gehen indes einige Normen bei Werbung weiter als bei nicht bezahlten Inhalten. Dabei ist zu beachten, dass je nach Rechtsgebiet unterschiedliche Definitionen des Begriffs Werbung gelten, deren Darstellung in vollem Umfang hier jedoch nicht erfolgen soll.2.1. Strafrechtliche Regelungen
Werbung kann ebenso wie nicht werbende Inhalte beispielsweise eine Volksverhetzung (§ 130 StGB), die öffentliche Aufforderung zu Straftaten (§111 StGB) oder eine Beleidigung (§ 185 StGB) beinhalten. Solche Straftaten können insbesondere im Kontext unsauber geführter politischer Auseinandersetzungen auftreten. Nur als Werbung verboten sind Inhalte zu den Themen Schwangerschaftsabbrüche (§ 219a StGB) und unerlaubtes Glücksspiel (§ 284 StGB).2.2. Medienrecht
Das Medienrecht droht Strafen geringerer Intensität an. Der Medienstaatsvertrag definiert Werbung in § 2 Nr. 7 MStV als „jede Äußerung, die der unmittelbaren oder mittelbaren Förderung des Absatzes von Waren und Dienstleistungen, (...) oder des Erscheinungsbilds natürlicher oder juristischer Personen, die einer wirtschaftlichen Tätigkeit nachgehen, dient und gegen Entgelt oder eine ähnliche Gegenleistung oder als Eigenwerbung im Rundfunk oder in einem Telemedium aufgenommen ist“. Dies schließt wegen fehlender wirtschaftlicher Tätigkeit zwar politische Werbung nicht ein. Die Definition lässt jedoch § 8 Abs. 9 MStV unberührt. Dieser verbietet politische Werbung im Rundfunk, sodass politische Werbung doch Regelungsgegenstand des MStV ist.Intensive Beschränkungen von Werbung (auch) auf Online-Plattformen finden sich in den §§ 8, 10 und 22 MStV. Dieser verbietet Werbung welche die Menschenwürde missachtet, die Menschen u.a. aufgrund ihrer Herkunft oder sexuelle Orientierung diskriminiert oder Werbung, die gesundheitsschädliche Verhaltensweise fördert. Diese weit gefassten Verbotsnormen erfassen gerade durch ihre Offenheit nicht jede Form der grenzwertigen Werbung. So ist Tabakwerbung (wenn auch sehr eingeschränkt) grundsätzlich erlaubt, obwohl dies ein gesundheitsschädliches Verhalten fördern könnte. Genannte Paragraphen enthalten ebenfalls besondere Kennzeichnungspflichten. So ist Schleichwerbung verboten und Werbung muss deutlich vom restlichen Programm zu unterscheiden sein. Beachtlich ist das bereits erwähnte vollständige Verbot politischer Werbung (mit Ausnahme von Wahlkampfzeiten) im Rundfunk.
Allerdings gelten diese Vorschriften nur sehr eingeschränkt für Online-Plattformen. So stehen §§ 8 und 10 MStV unter dem Punkt „Rundfunk“ und gelten entsprechend nur für diesen. Für Telemedien, worunter die Online-Plattformen fallen, gilt § 22 MStV, welcher vorgibt: „Werbung muss als solche klar erkennbar und vom übrigen Inhalt der Angebote eindeutig getrennt sein. In der Werbung dürfen keine unterschwelligen Techniken eingesetzt werden. Bei Werbung politischer, weltanschaulicher oder religiöser Art muss auf den Werbetreibenden oder Auftraggeber in angemessener Weise deutlich hingewiesen werden“.
- Video-Sharing-Plattformen treffen bezüglich Werbung erweiterte Pflichten. Die Definition von Video-Sharing-Plattformen erfasst auch Social Media Plattformen, wenn eine wesentliche Funktion des sozialen Netzwerks in der Bereitstellung von Sendungen und von nutzergenerierten Videos besteht.[iv] Für diese verbietet der Verweis in § 98 MStV Werbung, welche die Menschenwürde missachtet, die Menschen u.a. aufgrund ihrer Herkunft oder sexuelle Orientierung diskriminiert oder Werbung, die gesundheitsschädliche Verhaltensweise fördert. Ebenso wird hier direkt der Betreiber der Video-Sharing Plattform in die Verantwortung genommen. Nach § 98 Abs. 2 MStV hat der Betreiber dafür Sorge zu tragen, dass die von ihm verkaufte Werbung den genannten Vorgaben entspricht.
Die Vorgaben für Werbung im traditionellen Rundfunk und Telemedien wie Online-Plattformen weichen somit insbesondere im Bereich politischer Werbung deutlich voneinander ab. Die Vorgaben für Video-Sharing Plattformen sind zwar umfangreicher als die anderer Telemedienanbieter. Auch hier gelten die Vorgaben zu Rundfunkwerbung jedoch nicht vollständig, insbesondere bleibt hier politische Werbung erlaubt.
2.3. Jugendmedienschutz
Der besondere Schutz von Kindern und Jugendlichen ist Regelungsziel des JMStV. Dort findet sich in § 6 JMStV ein umfassendes Verbot von Inhalten, welche gegenüber Kindern und Jugendlichen nicht beworben werden dürfen. Dies gilt auch für Telemedienanbieter. Dort findet sich das Verbot von Werbung für nicht-jugendfreie Inhalte und solche in § 4 JMStV aufgezählten, besonders gefährlichen Inhalte. Einerseits soll die wirtschaftliche Unerfahrenheit und Naivität von Kindern und Jugendlichen nicht ausgenutzt werden. Diese dürfen u.a. nicht direkt zum Kauf von Produkten aufgefordert werden. Auch sollen Kinder und Jugendliche durch Werbung nicht in ihrer Entwicklung beeinträchtigt werden. So sind neben pornographischen Inhalten auch kriegsverherrlichende, volksverhetzende oder grausame Inhalte verboten. Ausweislich seines ganzen Titels „Staatsvertrag über den Schutz der Menschenwürde und den Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien“ dient der Staatsvertrag nicht nur dem Schutz von Kindern und Jugendlichen, sondern insgesamt dem Schutz der Menschenwürde. Inhalte, welche die Menschenwürde missachten, dürfen somit unabhängig vom Alter ihrer Zielgruppe nicht verbreitet werden.2.4. Wettbewerbsrecht
Umfassende Einschränkungen von Werbung unabhängig ihrer Form der Verbreitung finden sich im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG). Demnach sind kommerzielle Zwecke einer Handlung zu kennzeichnen (§ 5 UWG). Insbesondere Influencer Werbung ist davon erfasst. Verunglimpfungen und Irreführungen sind ebenso verboten. (§§ 5, 4 Nr. 1 UWG). Einen umfassenden Katalog in Werbung verbotener Inhalte findet sich im Anhang zu § 3 Abs. 3 UWG. Die 30 Verbotstatbestände richten sich, wie das UWG allgemein, gegen Werbung welche den Zweck verfolgt, finanzielle Erlöse zu erzielen. Entsprechend ist politische Werbung durch die Parteien hier nicht besonders geregelt.2.5. Weitere Gesetze
Darüber hinaus existieren weitere Gesetze, welche Werbung für bestimmte Inhalte verbieten. Dazu zählen unter anderem Heilmittel, Tabak oder die freien Berufe wie z.B. Rechtsanwält*innen oder Notar*innen. Diese verbieten Werbung unabhängig der Verbreitungsform und somit auch in Telemedien. Für so genannte Konversionstherapien (Behandlungen, welche nicht-heterosexuelle Menschen vermeintlich „heilen“, sprich zu heterosexuellen Menschen zu machen versuchen) darf gem. § 3 KonvBehSchG nicht geworben werden. Ein Verstoß gegen dieses Werbeverbot stellt eine Ordnungswidrigkeit dar, die mit bis zu 30 Tausend Euro geahndet werden kann. Die Werbung für Betäubungsmittel kann je nach Art des Mittels ganz verboten oder nur in Fachkreisen erlaubt sein.3. Rechtliche Bewertung der ausgespielten Bilder im Versuch von Reset
3.1. "Der Ursprung allen Übels"
Eines der von reset.tech als Werbung geschalteten Bilder zeigt einen Menschen in traditionell jüdischer Kleidung mit einem Fadenkreuz im Nacken und den Text „Der Ursprung allen Übels“. Nicht nur, aber insbesondere die Kombination aus Fadenkreuz und dem eindeutigen Text bedeuten, dass Juden und Jüdinnen hier als gesamte Gruppe das Recht auf Leben abgesprochen und zu entsprechenden Taten aufgefordert werden soll.[v] Das verbreitete Bild erfüllt den Tatbestand einer Volksverhetzung und die durch das Bild verletzte Menschenwürde von Jüdinnen und Juden ist sowohl durch den JMStV als auch den MStV geschützt. Das Bild hätte somit nach bestehender Rechtslage nicht verbreitet werden dürfen.3.2. "Zieh mit uns in den Kampf"
Das Bild zeigt einen im Abendrot fliegenden Kampfjet mit den Worten: "Du fühlst Dich auch von denen da oben betrogen? Zieh mit uns in den Kampf".Das Bild beinhaltet somit explizit durch Bild und Wort einen Aufruf zum bewaffneten Kampf gegen eine vermeintliche Elite. Damit kann es Jugendliche und Kinder in ihrer Entwicklung stören und ist kriegsverherrlichend.[vi] Somit ist auch dieses Bild nach dem JMStV verboten.
3.3. "Du bist in Deine Klassenkameradin verliebt?"
Das Bild zeigt eine Figur mit einer Sprechblase in der steht: "Du bist ein Mädchen und in Deine Klassenkameradin verliebt? Lass uns Dir helfen, das zu ändern". Damit wirbt das Bild deutlich für die so genannte Konversionstherapie, die nach § 2 KonvBehSchG grundsätzlich nicht an Minderjährigen praktiziert werden darf und für die nach § 3 KonvBehSchG in keinem Kontext geworben werden darf. Auch verstößt die Werbung gegen § 6 JMStV weil Konversionstherapien zu schweren psychischen Belastungen führen und Kinder und Jugendliche mithin in ihrer Gesundheit beeinträchtigen können.
3.4. „Die neue Verschleierung“
Das vierte Bild zeigt eine Frau mit medizinischer Maske über Mund und Nase. Daneben steht der Satz: „Die neue Verschleierung. Was kann ich dagegen tun?“. Das Bild lässt zwar erkennen, dass die dahinterstehenden Personen weder der Corona- noch der Migrationspolitik zustimmen und eine mindestens kritische Haltung gegenüber dem Islam allgemein zu Tage legen. Dem muss man politisch nicht zustimmen. Es verstößt aber gegen keine Werbeverbotsnorm und muss als politische Haltung toleriert werden, auch wenn man nicht mit ihr übereinstimmt. Da es an einem generellen Verbot politischer Werbung in Telemedien fehlt, wären bei der Verbreitung dieses Bildes lediglich Kennzeichnungspflichten zu beachten.3.5. Zwischenfazit
Drei von vier Anzeigen waren somit bereits nach bestehenden Regeln verboten und hätten nicht verbreitet werden dürfen. Eines der ausgespielten Bilder hätte als politische Werbung im klassischen Rundfunk nicht verbreitet werden dürfen, insbesondere nicht an Minderjährige.Dies wirft zwei Fragen auf: Warum spielt Facebook trotz bestehender Verbote dennoch solche Werbung aus und warum sind Telemedien und Rundfunk beim Thema Werbung so unterschiedlich reguliert.
4. Warum die Ungleichbehandlung?
Rundfunk und Telemedien werden zwar weitgehend in den gleichen Gesetzen reguliert, in diesen wird jedoch weiterhin zwischen den beiden Medienformen unterschieden. Dabei unterfallen beide als Mittel der Massenkommunikation dem Grundrecht der Rundfunkfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG. Ursprünglich waren der einfachgesetzliche und der verfassungsrechtliche Rundfunkbegriff noch kongruent. Der verfassungsrechtliche Rundfunkbegriff ist jedoch technisch dynamisch, sodass dieser sich, anders als der derzeit geltende einfachgesetzliche Rundfunkbegriff, nicht an einer bestimmten Übermittlungsform orientiert.[vii] Ausschlaggebend ist vielmehr die Bedeutung des Mediums für die kollektive Meinungsbildung. Somit genießen alle Formate massenmedialer Kommunikation den Schutz von Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG, auch die als Telemedien einzuordnenden Social Media Plattformen.Die Rundfunkfreiheit ist eine dienende Freiheit. Das heißt, dass der Rundfunk nicht aus reinem Selbstzweck den verfassungsrechtlichen Schutz genießt sondern um der Meinungsvielfalt und dem demokratischen Diskurs „zu dienen“.[viii] Diese dienende Funktion wird durch den einfachen Gesetzgeber konkretisiert und Rundfunk ist traditionell stark reguliert. Dies ist historisch durch die in den Anfangsjahren der BRD bestehende Knappheit von Frequenzen und hohen finanziellen Markteintrittshürden begründet. Es bestand ein (rechtlich verankertes) Monopol öffentlich-rechtlicher Rundfunkanbieter.[ix] Diese sollten ihre Marktstellung dann allerdings nicht zulasten der öffentlichen Meinungsbildung missbrauchen dürfen. Diese Begründung verlor spätestens seit Aufkommen privater Rundfunkanbieter an Bedeutung. 2007 führte das BVerfG zur Frage der Regulierungsdichte von Rundfunk aus, dass aufgrund dessen „Breitenwirkung, Suggestivkraft und Aktualität“ weiterhin Bedarf einer intensiven Beschränkung des Rundfunks als Ausgestaltung der Rundfunkfreiheit bestünde.[x] Eine rein an Marktprinzipien orientierte Steuerung des Rundfunks sei mit der durch Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG zu sichernden Meinungsvielfalt nicht zu vereinbaren. Dass der Rundfunk im einfachgesetzlichen Sinne noch immer der zentrale Regelungsgegenstand bei der Ausgestaltung der Rundfunkfreiheit ist, zeigt sich deutlich in der Struktur des MStV. Die dort geregelten Beschränkungen gelten in großer Zahl originär nur für den Rundfunk. Erst durch entsprechende Verweise auf die Regelungen des Rundfunks in den Abschnitten zu Telemedien erlangen die Beschränkungen auch für diese Geltung. Der Rundfunk wird somit systematisch als Höchstmaß der Regulierung bestimmt, an dem sich die anderen Medien orientieren müssen.
Dass verschiedene vom selben Grundrecht geschützte Regelungsgegenstände (hier Telemedien und Rundfunk) durch den einfachen Gesetzgeber unterschiedlich geregelt werden, ist grundsätzlich möglich.[xi] Dies setzt jedoch voraus, dass unterschiedliche Gefahren für andere Rechte drohen, die eine Ungleichbehandlung rechtfertigen.[xii] Bei Fragen der Rundfunkfreiheit sind die zu schützenden Rechte insbesondere die individuelle und öffentliche Meinungsbildung.[xiii] Es ist fraglich, ob von Sozialen Netzwerke und dem klassischen Rundfunk noch unterschiedliche Bedrohungen ausgehen.
Die Bundesregierung stellte 2007 in der Begründung des Elektronischer-Geschäftsverkehr-Vereinheitlichungsgesetz fest, dass Grundlage für die Ungleichbehandlung die unterschiedliche Funktion der unterschiedlichen Medien für die Meinungsbildung sei.[xiv] Ebenso rechtfertigten die unterschiedlichen Auswahl- und Entscheidungsmöglichkeiten der Nutzer*innen bzw. Zuschauer*innen die geringe Regelungsdichte von Telemedien.[xv]
Hohe Markteintrittshürden und Frequenzknappheit gibt es im Medienmarkt nur noch sehr vereinzelt, wenn nicht sogar vermehrt im Bereich der Telemedien, wo teilweise einige Gatekeeper-Plattformen den Markt vor neuen Wettbewerber*innen verschließen. Auch die Merkmale „Breitenwirkung, Suggestivkraft und Aktualität“ sind kein Alleinstellungsmerkmal des Rundfunks mehr, all diese Eigenschaften finden sich auch bei Telemedien: Telemedienanbieter wie Social-Media-Plattformen erreichen mit Milliarden Nutzer*innen eine potentielle Reichweite weit über der von klassischem Rundfunk. Auch Aktualität können Telemedien mindestens genauso gut wie der klassische Rundfunk erreichen. Die Suggestivkraft des Rundfunks kann in Telemedien sogar noch größer sein. Man denke an die Überzeugungskraft von Influencer*innen und ihren besonderen Einfluss auf die privaten und politischen Entscheidungen ihrer Follower..[xvi]
Dass auch Telemedien einen besonderen Einfluss auf die individuelle und kollektive Meinungsbildung haben wird in der Richtlinie für audiovisuelle Medien (AVMD-RL) regulatorisch verankert. Diese Richtlinie wurde durch den MStV umgesetzt[xvii] und nimmt seit einer Änderung 2018 auch Anbieter von Video-Sharing-Plattformen in die Pflicht, wie sich in den §§ 97-100 MStV finden lässt. Ziel der Richtlinie war es, gleiche Wettbewerbsbedingungen für das traditionelle Fernsehen und den „Wilden Westen“ der Medien, den Telemedien zu schaffen. Video-Sharing-Dienste, wozu auch Social Media wie Facebook zählt, unterliegen sehr ähnlichen Werbevorgaben wie der klassische Rundfunk. Trotz dieser Modernisierung hielt die AVMD-RL beim Verbot politischer Werbung an einem zentralen Unterscheidungsmerkmal fest: Der Linearität. Der Richtlinie nach wird linearen Programmangeboten ein größerer Einfluss auf die Meinungsbildung zugesprochen als nichtlinearen Programmen, was sich in § 74 MStV findet: Lineare, fernsehähnliche Formate unterliegen uneingeschränkt dem vollen Werbeverbot für Rundfunk einschließlich des Verbots politischer Werbung. Diese Unterteilung ist höchst zweifelhaft und wurde bereits bei Einführung der Änderungsrichtlinie stark kritisiert.[xviii]
Für ein Verbot politischer Werbung im Rundfunk werden seit dessen Einführung hauptsächlich zwei Gründe angeführt. Einerseits dürfe es nicht von finanziellen Mitteln abhängen, wie viel Reichweite eine Partei über den Rundfunk erhalte.[xix] Dieser Logik folgt auch die ausnahmsweise Zulassung von Werbung im Rundfunk zu Wahlkampfzeiten, für welche nur Selbstkosten zu erstatten sind und deren Umfang nicht durch zusätzliche finanzielle Mittel erweitert werden kann. Auch sollte keine Beeinflussung der Berichterstattung durch politische Werbung ermöglicht werden.[xx] Es gehört gerade zum Aufgabenbereich des journalistischen Rundfunks, über politische Themen zu berichten und damit zur demokratischen Willensbildung beizutragen. Schaut man auf das sich verändernde Konsumverhalten bei Nachrichten, so zeigt sich die wachsende Bedeutung von Social Media für die demokratische Meinungsbildung.[xxi] Die sozialen Netzwerke als Wirtschaftsunternehmen bergen dieselbe Gefahr wie der traditionelle Rundfunk, die Berichterstattung durch finanzielle Mittel zu beeinflussen. Zwar produziert Facebook keine eigenen Formate. Der Einfluss auf die Verbreitung von Formaten durch die Vorschlagsalgorithmen ist jedoch groß. Die Macht der Social-Media-Plattformen, bestimmte Inhalte mit einer besonderen Reichweite zu versorgen, ist mithin nicht weniger bedrohlich für die vielfältige demokratische Meinungsbildung als das Interesse des klassischen Rundfunks, Werbepartner*innen durch positive Berichterstattung zu erfreuen. Ebenso lässt sich das Argument der nicht von finanzieller Stärke abhängigen Reichweite direkt auf Soziale Netzwerke übertragen. Zwar hängt die Reichweite einer Partei in vielen Situationen auch von ihrer Finanzkraft ab: Wer mehr Geld hat kann auch mehr Plakate hängen o.ä. Allerdings gewinnt die finanzielle Stärke in so reichweitenstarken Medien eine besondere Bedeutung, ist doch in letzter Konsequenz eine vollständige Dominanz der Sozialen Netzwerke durch eine finanzstarke Partei denkbar. Plakate können vom politischen Gegner überklebt oder entfernt werden, Werbung auf Social Media bleibt.
Auch die als Begründung zur unterschiedlichen Regulierung angeführten Einwirkungsmöglichkeiten der Nutzer*innen existieren bei Werbung nicht. Diese werden von den Netzwerken an die Nutzer*innen ausgespielt, ohne dass diese darauf erheblichen Einfluss nehmen könnten.
Gegen ein grundsätzliches Verbot politischer Werbung könnte die Annahme sprechen, im digitalen Raum bewegten sich die Nutzer*innen ausschließlich in sogenannten Echokammern, in welchen sich gleiche oder ähnliche Ansichten nur selbst bestätigten. Bezahlte Werbung, welche trotz entgegenstehender Interessen an eine*n Nutzer*in ausgespielt würde, könnte in diese Echokammer vordringen, wo nicht bezahlte Inhalte aufgrund der bestehenden Empfehlungslogik nicht eindringen würden. Allerdings ist der Effekt solcher Echokammern, wenn auch schlüssig, nicht eindeutig geklärt und kann bezweifelt werden.[xxii] Außerdem geht dieses Argument an dem Ziel (politischer) Werbung vorbei. Wie der in der Einführung zitierte Henry Ford erkannte, geht es bei Werbung aller Inhalte um die Optimierung der eigenen Ausgaben zur Maximierung der Außenwirkung der eigenen Marke oder Idee. Es scheint also nicht realistisch, dass politische Werbung gezielt auch an Gegner der eigenen Position ausgespielt wird. Solch einen Effekt herbeizuführen könnten jedoch eine, verglichen mit dem vollständigen Verbot, weniger intensive regulatorische Maßnahme sein.
Wenn auch mit anderen als den genannten Begründungen verzichten u.a. Twitter und TikTok bereits vollständig auf politische Werbung. Facebook und YouTube, welche solche Form der Werbung noch grundsätzlich zulassen, haben die Brisanz solcher Anzeigen auch erkannt und entsprechende Gegenmaßnahmen wie eine Begrenzung der Targetingparameter für politische Werbung (YouTube) oder eine inhaltliche Verifikation solcher Inhalte (Facebook) ergriffen.[xxiii] Facebook verzichtete im Vorfeld der Europawahl 2019 in der gesamten EU auf politische Werbung.[xxiv] Auch wenn politische Werbung wie jede Form der Werbung zum Geschäftsmodell der Plattformen gehört verdeutlicht dies, dass die Plattformen sogar vollständig auf diese Einnahmequelle verzichten können oder bereits zu Einschränkungen bereit sind. Ein gesetzliches Verbot wäre zwar ein Eingriff in die unternehmerische Freiheit der Plattformen, allerdings scheint dieser nicht übermäßig schwer zu wiegen, wenn die Plattformen bereits freiwillig auf politische Werbung verzichten.
5. Wieso wird geltendes Recht nicht durchgesetzt?
Wie die rechtliche Bewertung der von Reset bezahlten Anzeigen zeigte, verstießen drei der vier Anzeigen bereits gegen geltendes Recht. Dies wirft die Frage auf, warum Facebook trotz bestehender Verbote diese Werbungen ausspielte.Ein Grundpfeiler von Social-Media-Plattformen ist das Privileg, für keinen auf der eigenen Plattform veröffentlichten Inhalte verantwortlich zu sein, bis die Plattform Kenntnis von dem (möglicherweise) rechtswidrigen Inhalt erlangt. Überwachungsmaßnahmen dürfen den Plattformen grundsätzlich nicht auferlegt werden. Diese Privilegien finden sich in Art. 14 und 15 der E-Commerce-Richtlinie und wurden durch §§ 8-10 TMG umgesetzt. Eine Ausnahme davon findet sich jedoch in § 98 Abs. 2 MStV. Dort ist normiert, dass Video-Sharing-Plattformen sicherzustellen haben, dass die von ihnen verkaufte, vermarktete oder zusammengestellte Werbung den Vorgaben des MStV entspricht. Zur Erinnerung, dies entspricht bis auf das Verbot politischer Werbung den Vorgaben für Rundfunks, gegen die drei der vier von Reset geschalteten Werbeanzeigen verstießen. Facebook verstieß somit gegen seine Pflicht aus § 98 Abs. 2 MStV. Neben § 98 Abs. 2 MStV bestehen nach § 24 a JuSchG bestimmte Pflichten von Telemedienanbieter, Jugendliche vor schädlichen Inhalten zu schützen. Auch diese Pflicht verletzte Facebook, indem es die rechtswidrigen Bilder verbreitete.
Verstöße gegen die Vorgaben des MStV sind von den Landesmedienanstalten zu ahnden und können als Ordnungswidrigkeiten geahndet werden. Allerdings handeln bei Verstößen gegen Werbeverbote nur Anbieter von bundesweit ausgerichtetem privaten Rundfunk ordnungswidrig. Soziale Netzwerke sind kein Rundfunk im Sinne des MStV und handeln somit nicht ordnungswidrig. Maßnahmen gegen die Netzwerke nach dem MStV könnten daher gem. § 109 MStV nur unter anderem die Beanstandung, Untersagung oder Sperrung sein. Diese Sanktionen berühren jedoch wenig die Substanz der Plattformen, sondern behandeln lediglich den einzelnen Inhalt.
Es bedarf deutlich schärferer Strafen für die Missachtung der rechtlichen Vorgaben bei Werbung, die auch finanzielle Folgen bedeuten. Sonst kann dem finanziellen Interesse der Plattform, lieber zu wenig Werbung zu filtern als zu viel, kaum etwas entgegengehalten werden. Die milden Sanktionen bei Verstößen der Sozialen Netzwerke können auch als Ausdruck des Plattformprivilegs auf Umwegen verstanden werden. Dieses schützt die Vielfalt aller Inhalte im Internet und bewahrt vor Upload-Filtern. Solche könnten aufgrund der Sorge der Plattformen vor rechtswidrigen Inhalten zu einem Overblocking und einer Verkleinerung der Vielfalt führen könnte. Diese für das Plattformprivileg vorgebrachten Argumente greifen bei bezahlter Werbung jedoch zu kurz. Einerseits ist bezahlte Werbung zwar ein Mittel der politischen Kommunikation und Instrument der verfassungsrechtlich garantierten Meinungsfreiheit. Andererseits zeigt das generelle Verbot politischer Werbung im Rundfunk und die dafür vorgebrachten Argumente, dass diese Form politischer Kommunikation aus guten Gründen intensiv beschränkt werden kann. Entsprechende Sanktionen bei Nichtbeachtung sind die nötige und logische Konsequenz solcher Regelungen, ohne die jede Regelung an Bedeutung verliert.
Ein weiteres Problem zu geringer Sanktionierung ist das Targeting, also die gezielte Ausspielung von Werbung an Nutzer*innen mit bestimmten Eigenschaften oder Interessen. So kann politische Werbung nur an vermeintliche Sympatisant*innen ausgespielt werden, bei denen ein geringes Risiko besteht, dass der Inhalt an die Plattform gemeldet wird, wodurch illegale Inhalte kaum oder nur zu spät gemeldet werden könnten. Es bedarf somit Sanktionen mit präventiver Wirkung, um die Verbreitung solcher Inhalte zu verhindern.
Seit diesem Jahr gilt eine weitere Vorsorgepflicht der Plattformen. In Umsetzung der (umstrittenen) Europäischen Richtlinie über das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte im digitalen Binnenmarkt wurde die Pflicht der Plattformen eingeführt, Inhalte auf mögliche Urheberrechtsverstöße zu untersuchen. Es lässt sich somit neben § 98 Abs. 2 MStV und § 24 a JMStV eine politische Strömung weg vom Privileg der Plattformen hin zu mehr Verantwortlichkeit erkennen, die im Entwurfsstadium befindlichen DSA und DMA noch weiter ausgebaut werden wird.
Insbesondere für Werbung, welche das finanzielle Fundament der Plattformen bedeutet und als politische Werbung enorme Risiken bergen kann, ist ein Ausbau der Sanktionen bei Missachtung der geltenden Regeln durch die Plattformen geboten.
6. Fazit
Werbung hat neben der enormen wirtschaftlichen Bedeutung eine besondere Rolle in Wahlkämpfen und politischen Auseinandersetzungen. Anders als nicht bezahlte Inhalte kann Werbung gezielt an bestimmte Gruppen von Personen ausgespielt werden, ohne dass diese großen Einfluss auf die Inhalte nehmen könnten. Das Medienrecht erlaubt Sozialen Netzwerken, anders als linearen Formaten, politische Werbung ohne Beschränkung. Hinzu treten unzureichende Sanktionen bei Missachtung der inhaltlichen Werbeverbote. Da auf Seiten der Plattformen ein ausgeprägtes wirtschaftliches Interesse an der Verbreitung von möglichst viel Werbung steht, scheint eigenverantwortliches Vorgehen nicht erfolgversprechend. Sowohl ein Verbot politischer Werbung und eine Verschärfung von Sanktionen für Verstöße gegen Werbeverbote könnten Mittel sein, die Verbreitung von fragwürdigen und rechtswidrigen Inhalten gegen Geld zu unterbinden.Bild: Pawel Czerwinski / unsplash