Der YouTuber Rezo seziert in seinem Video „Die Zerstörung der Presse“ den deutschen Journalismus. Mit einigen Medienhäusern und deren Praktiken geht er dabei hart ins Gericht. Die Journalismusforscherin Wiebke Loosen hat es sich angesehen.
Was macht eigentlich eine Journalismusforscherin? Sie beobachtet, wie der Journalismus in der Gesellschaft die Gesellschaft beobachtet und wie er dabei mit eigenen Mitteln Medienwirklichkeit konstruiert. Es mag dem einen oder anderen etwas seltsam vorkommen, dass sich mit dieser Frage eine ganze wissenschaftliche (Sub?-)Disziplin beschäftigt. Mir selbst jedenfalls kommt es gar nicht mal so selten seltsam vor. Schließlich ist ein Kern dieser Arbeit, anderen bei ihrer Arbeit zuzusehen, Fragen zu ihrer Arbeit und ihrem Denken zu stellen und auch, die Produkte ihrer Arbeit zu analysieren.
Die Beobachter beobachten
Journalismus und seine Leistungen beobachten, das macht aber nicht nur die Wissenschaft, das machen wir als Mediennutzende alle auf eine gewisse Art – und nicht immer sind wir mit den Leistungen des Journalismus zufrieden. Vielfältige Kritik findet man etwa in Nutzerkommentaren, im Medienjournalismus, in Blogs oder sonst wo in sozialen Medien. In solchen Fällen beobachte ich als wissenschaftliche Journalismusbeobachterin dann also auch andere beim Beobachten des Journalismus und lernt daraus zum Beispiel, was am Journalismus und seinen Leistungen kritisiert wird.Aus solcher Kritik lässt sich aber fast immer auch lernen, was am Journalismus geschätzt wird, warum es so vielen Menschen so wichtig ist, dass eine Gesellschaft guten seriösen professionellen Journalismus hat. Das Ausmaß des Ringens, was dies im Einzelnen ist bzw. sein sollte und ob und wann diese Ansprüche in der Praxis erreicht oder verfehlt werden, ist also immer auch Indikator für eine grundlegende Anerkennung der Notwenigkeit eines „guten Journalismus“ für die Gesellschaft.
Eine ganz besondere Form der Journalismusbeobachtung
Mit diesem Blick habe ich mir auch das neueste Rezo-Video „Die Zerstörung der Presse“ angesehen. Es ist eine ganz besondere Form der Journalismusbeobachtung, der Medienkritik, der Medienkompetenzausbildung und auch der Publikums- bzw. Nutzendenkritik. Journalismus entsteht nämlich nicht im luftleeren Raum, sondern immer und ganz maßgeblich unter dem Eindruck der Erwartungen, die sich Journalist*innen aus mehr oder weniger vielfältigen Quellen (wie Reichweiten, Klickzahlen, Retweets, Gespräche mit Kolleg*innen etc.) von den Erwartungen ihres Publikums machen. Publikumszeitschriften des Boulevards wie „das neue“ oder „Freizeit Revue“, die sich Rezo unter anderem rund um Minute 10 vornimmt und als „reichweitenstarke Influencer“ (10:16) bezeichnet, gäbe es zum Beispiel nicht, wenn sie keine zahlende Leserschaft finden würden.Dezidiert nimmt Rezo auch die argumentativ hermetisch abriegelnden (oder einfach nur dummen) Praktiken von Verschwörungsideologen ins Visier, mit denen aus „Bullshit“ Wahrheit gemacht werden solle, entledigt Verschwörungstheorien ihres Theoriegehalts und spricht (auch unter Rückgriff auf verschiedene wissenschaftliche Studien) stattdessen von Verschwörungsglauben. Als „eine Ursache für die Beliebtheit von Verschwörungsmythen“ (01:07) macht Rezo fehlendes Vertrauen gegenüber der „seriösen Presse“ aus, das zum Teil aber auch in Missständen innerhalb der „Presseszene“ (02:10) begründet liege. Im weiteren Verlauf des Videos geht es dann um das Aufzeigen solcher Missstände anhand von Beispielen und um die Illustration, dass „beliebte Techniken von Verschwörungsideologen auch regelmäßig in manchen etablierten Medien vorkommen“ (02:16).
Die Frage der Transparenz
Das einstündige Video führt mit unangestrengter Akribie durch verschwörungstheoretisierende und Fakten montierende Kommunikationspraktiken und durch Schludrigkeiten und Verfehlungen einzelner Medien. Im Kern geht es dabei immer wieder um Fragen der Transparenz, den (un)professionellen Umgang mit Belegen und Quellen, den Unterschied zwischen Fakten, Meinungen und Spekulationen, sehr grundlegend um unseriöse und unethische, gegen den Pressekodex verstoßende Praktiken sowie um Unwahrheiten und Falschbehauptungen, die wir nicht als „normalen Teil von Medien“ (11:21) begreifen dürften.Ein wesentlicher Teil des Videos ist auch die Darstellung einer eigenen Analyse von über 400 Medienbeiträgen mit Rezo selbst als Hauptthema mit dem Ziel, den Anteil an Falschbehauptungen zu identifizieren. Das ist für mich persönlich der am ehesten verzichtbare Teil von Rezos Video, wobei das Argument, nur bei diesem Thema sei man Experte und könne deswegen Falschbehauptungen treffsicher identifizieren, schon smart ist und der Befund nicht völlig uninteressant, dass FAZ, Bild und Welt bei diesem Faktencheck in eigener Sache am schlechtesten abschneiden.
Warnung vor der eigenen Demontage
„Die Zerstörung der Presse“ ist für mich vor allem eins: eine flammende Warnung an den Journalismus vor der eigenen Demontage. Mit unprofessionellen, unseriösen und unethischen Praktiken, die, so Rezo, zum Teil bis an „Desinformationsgeschäftsmodelle“ (12:11) heranreichen, riskierten die Medien zunehmende Verluste in Vertrauen, Respekt und Glaubwürdigkeit, die dann auch die „seriöse Presse“ beträfen, wenn diese sich von solchen Praktiken nicht in ausreichender Weise distanziere: „Denn ohne Vertrauen, Respekt und Glaubwürdigkeit bleibt auf Dauer nichts mehr von der seriösen Presse übrig“ (03:06).Mehr als „Sagen, was ist“
Ein besonderes Plädoyer Rezos gilt dem Thema Transparenz und der Belegbarkeit von Aussagen. Das eigene Video kommt mit über 250 Quellen, die in einem Google Docs verzeichnet sind. In dieser Hinsicht hätten sich die Ansprüche, Bedürfnisse und Fähigkeiten der Leser deutlich geändert, und um das „Journalismus-Game auf das nächste Level zu bringen“ (55:04) sei insbesondere ein verbesserter Umgang mit der Transparenz von Quellen und dem Belegen von Aussagen erforderlich: Also nicht mehr nur „sagen, was ist“, wie SPIEGEL-Gründer Augstein es damals formuliert hat, sondern auch aufzeigen, wie Aussagen zustande kommen und auf welchen Quellen sie basieren.Rezo spricht in seinem Video viele Themen an, die uns in der Medienforschung auch hier am HBI beschäftigen und zu denen man an vielen Stellen einhaken könnte, um auf Grundlage wissenschaftlicher Forschung zu Mäßigung und Differenzierung aufzurufen. Das betrifft zum Beispiel mehr oder weniger implizite Annahmen über starke Medienwirkungen, Fragen des Medienvertrauens, Vorstellungen von Mediennutzungspraktiken, journalistischen Routinen und Rollenkonzepten, oder Erwartungen an Journalismus. Selbstverständlich ist das alles in den Augen und mit den Mitteln der Wissenschaft betrachtet noch viel komplexer. Darum geht es an dieser Stelle aber nicht.
Wir haben uns an viel zu viel Mist gewöhnt
„Die Zerstörung der Presse“ ist eine zwischen kritischer Abrechnung mit journalistischen Fehlleitungen und Wertschätzung für guten Journalismus oszillierende Kippfigur. Das macht das Video zu einem äußerst vielschichtigen Stück Medienkritik und führt uns dabei auch vor Augen, das wir uns an viel zu viel Mist gewöhnt haben, der die Bezeichnung Journalismus nicht verdient.Für mich gehört es in einen Bildungskanon „Medienkompetenz“ und in alle Aus- und Weiterbildungsseminare zu Medienethik und Medienkritik. Man kann nämlich anhand dieses Videos vortrefflich darüber streiten, was Journalismus ist und sein soll und dabei lernen, wie unterschiedlich die Antworten auf diese Fragen ausfallen können und welche Vorstellungen von „Wahrheit“ und wie sie zu finden sei, sich jeweils dahinter verbergen.