Im Jahr 2015 ist die AfD innerhalb weniger Monate von einer kleinen, von vielen Expert:innen bereits abgeschriebenen Partei zu einer der lautesten Stimmen in der Flüchtlingsdebatte geworden. Jan Rau erklärt anhand dieses Beispiels, welch entscheidende Rolle digitale Medien in den gesellschaftlichen Umwälzungen unserer Zeit spielen und warum es wichtig ist, sie zu erforschen.
Wenn man sich als Medienforscher:in mit der Rolle von digitalen Medien für den gesellschaftlichen Zusammenhalt beschäftigt, und genau das ist unsere Aufgabe als Teil des im Juni gegründeten Forschungsinstituts Gesellschaftlicher Zusammenhalt, ist die AfD und ihr politisches Comeback im Jahr 2015 ein besonders interessantes Beispiel. In der Forschung herrscht weitestgehend Einigkeit darüber, dass die sogenannte Flüchtlingskrise im Jahr 2015 als entscheidender Wendepunkt für die erfolgreiche Etablierung der AfD im deutschen Parteiensystem angesehen werden kann. Dieser Erfolg ist auch deshalb bemerkenswert, da die Partei noch im Sommer 2015 durch den Abgang vom damaligen Parteivorsitzenden Bernd Lucke und die damit einhergehende Parteispaltung ihre bisher größte Krise erlebte. Kommentator:innen stellten fest, dass die AfD „am Ende“ sei und zweifelten, ob die Partei „überleben“ werde und in Umfragen rutschte sie auf 3 bis 4 % Wählerzustimmung ab.
Genau diese Wahrnehmung macht den besagten Zeitraum zu einer interessanten Fallstudie, um die Rolle von digitalen Medien für den Erfolg der Partei zu untersuchen. So zeigt eine einschlägige Arbeit des Medienwissenschaftlers Michael Haller (S. 41- 44, S. 45, Tabelle 18), dass die AfD mindestens bis Anfang 2016 in traditionellen Medien in Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise kaum Erwähnung fand. Wollte die Partei also in diesem Zeitraum ihre politische Botschaft transportieren, war sie zwangsweise auf andere Kanäle angewiesen – zum Beispiel auf die Schaffung digitaler Gegenöffentlichkeiten im Internet.

[AfD versucht während der Flüchtlingskrise auf Facebook zu mobilisieren (Quelle: Facebook-Seite der Bundes-AfD]
Traditionelle Medien, die Flüchtlingskrise und eine Frage des Vertrauens
Eine grundlegende Herausforderung bei der erfolgreichen Mobilisierung über digitale Kanäle ist die im internationalen Vergleich eher konservative Haltung der Deutschen bei der Auswahl ihrer Nachrichtenquellen: Traditionelle Medien wie Fernsehen oder Tageszeitungen spielen gegenüber digitalen Medien immer noch eine vergleichsweise große Rolle.Allerdings wurde die Berichterstattung der traditionellen Medien im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise stark kritisiert: So wurde ihnen eine einseitig positive Berichterstattung, ein Mangel an kritischer Distanz und versuchtes Volkserziehertum vorgeworfen. Auch in der Medienforschung wird die Frage der normativen Bewertung der Berichterstattung heftig debattiert. Einigkeit herrscht darin, dass der Sommer 2015 sich durch eine im Vergleich ungewöhnlich positive Berichterstattung über Geflüchtete auszeichnete[1].
Ende 2015 lässt sich die Krise der Medien auch im Vertrauen der Bevölkerung feststellen. Eine Umfrage des Allensbach Institut zeigt bei den Befragten ein im internationalen Vergleich immer noch recht hohes Medienvertrauen im Allgemeinen, gleichzeitig allerdings ein starkes Misstrauen in die Berichterstattung über Geflüchtete. Dieses ist besonders stark ausgeprägt bei Menschen mit einer ablehnenden Haltung gegenüber Geflüchteten[2]. Entscheidend ist dabei, dass ein solches Misstrauen in traditionelle Medien oft mit einem höheren Vertrauen in und höheren Nutzungsraten von digitalen Medien als Informationsquellen verbunden ist. Und, dass sich diese Charakteristiken insbesondere bei AfD-Unterstützer:innen wiederfinden lassen.
Bis hierhin lassen sich also zwei Feststellungen treffen:
- Die AfD wird von traditionellen Medien im Kontext der Flüchtlingskrise kaum beachtet, sie muss stattdessen zwangsweise andere Kanäle wie Facebook nutzen, um ihre kritische Positionierung gegenüber Geflüchteten zu kommunizieren.
- Ein Teil der Bevölkerung verliert aufgrund einer ungewöhnlich positiven Medienberichterstattung über die Flüchtlingskrise Vertrauen in diese und bevorzugt stattdessen digitale Medien als alternative Informationsquelle.
Facebook als digitale Gegenöffentlichkeit
Diese Frage lässt sich mit absoluter Sicherheit nicht beantworten, denn die notwendigen Daten liegen meistens bei den großen Tech-Firmen. Unabhängige Forscher:innen haben nur sehr eingeschränkten Zugriff[3]. Stattdessen kann versucht werden, auf entsprechende Heuristiken zurückzugreifen, wobei die Ergebnisse mit angemessener Vorsicht interpretiert werden sollten.Will man versuchen, den Erfolg der AfD zu messen, macht es Sinn, sich die offizielle Hauptseite der Partei auf Facebook anzuschauen. Facebook ist in Deutschland die am meisten verbreitete Social Media Plattform und für die AfD traditionell der wichtigste Kanal für die direkte Kommunikation zu ihren Unterstützer:innen. Zwei öffentlich zugängliche Datentypen mit der sich die Performance einer Facebook-Seite messen lässt, sind die Anzahl an Fans und die Anzahl an erzeugten Interaktionen (Likes, Shares und Kommentare).
Diese beiden Größen zeigen einen recht klaren Trend: Die AfD war während der Flüchtlingskrise überaus erfolgreich auf Facebook.

[Offzielle Facebook-Seite der Bundes-AfD (Grafik: https://pluragraph.de/)][4]
Untersuchen wir zuerst die Anzahl der Fans: Seit der Gründung der Partei im Jahr 2013 sehen wir ein kontinuierliches Wachstum der Fan-Zahlen, eine Stagnation des Zuwachses und einen leichten Abschwung ab Anfang 2015 und eine sprunghafte Zunahme ab September 2015. Diese schwächt sich im Dezember etwas ab, verstärkt sich aber ab Januar wieder massiv und hält bis Mai 2016 an. In dieser Zeit verdoppelt sich die Zahl der Fans, was in der Geschichte der Partei einzigartig ist.
Schaffen wir das? Öffentliche Meinung zum Zuzug Geflüchteter 2015 und 2016

[* Frage: „Kann Deutschland die vielen Flüchtlinge verkraften?“ Blau=Ja, Rot=Nein. (Quelle: Forschungsgruppe Wahlen)]
Diese Wachstumsmuster auf Social Media spiegeln die Entwicklung der Stimmung der Bevölkerung gegenüber Geflüchteten und der politischen Unterstützung der AfD wider. Hier lässt sich im Sommer 2015 eine sehr positive Grundstimmung gegenüber Geflüchteten finden. Die AfD dagegen steckt nach der Parteispaltung in ihrer schwersten politischen Krise und in einem Umfragetief. Dies zeigt sich offenbar auch in dem benannten Abschwung der Fan-Zahlen.
Ab September 2015 lässt sich, parallel zum Start des Fan-Wachstums auf Facebook, einen Stimmungsumschwung bezüglich Geflüchteten und wachsende Zustimmung für die AfD feststellen. Alle drei Entwicklungen halten bis Dezember an und schwächen sich hier ab. Ab Januar und im Zuge der Ereignisse der Silvesternacht am Kölner Hauptbahnhof explodiert das Fan-Wachstum, die Stimmung kippt in eine stark ablehnende Haltung gegenüber Geflüchteten und die AfD schafft es zum ersten Mal in ihrer Geschichte, die 10 Prozentmarke in Wahlumfragen zu überspringen. Nur die CSU weist vergleichbare Muster im Fanwachstum in dieser Zeit auf – und das in wesentlich schwächerer Ausprägung. Gleichzeitig spiegeln sich dieselben Muster auch in einer Auswertung der von der AfD-Facebookseite erzeugten Interaktionen (Likes, Shares und Kommentare) wider.
Erzeugte Interaktionen Januar 2015 – August 2016

[Offizielle Facebook-Seite der Bundes-AfD, (Quelle: Stier et al (2017))]
Nun ist bei der Interpretation dieser Zahlen aufgrund der gegebenen Einschränkungen Vorsicht geboten. Zum einen kann aufgrund des eingeschränkten Datenpools nicht festgestellt werden, wie viele Nutzer:innen die AfD tatsächlich erreicht hat. Zwar deuten Mediennutzungsstudien darauf hin, dass die Partei einen substantiellen Teil ihrer Unterstützer:innen via Social Media erreichen kann, allerdings bleibt die genaue Zahl im Unklaren. Festgehalten werden muss ebenfalls, dass zusätzlich zu diesen digitalaffinen AfD-Unterstützer:innen sehr viele andere überhaupt keine digitalen Medien zum Nachrichtenkonsum verwenden.
Digitale Medien können also nicht allein verantwortlich sein. Auch ist der tatsächliche Einfluss von (digitalen) Medien auf Meinungsbildung und Wahlentscheidungen in der Forschung umstritten. Damit verbunden ist es wichtig zu unterstreichen, dass wir zwar eine Korrelation sehen, aber keine Aussagen über kausale Zusammenhänge treffen können. Gab es tatsächlich Bürger die aufgrund von Social Media beschlossen haben die Partei zu unterstützen? Und wenn ja, wie hoch war der Anteil? Vielleicht haben auch über andere Kommunikationskanäle bereits überzeugte Unterstützer:innen zusätzlich beschlossen die AfD auf Social Media zu unterstützen? Mit abschließender Sicherheit lassen sich diese Fragen nicht beantworten.
Das Internet ist nicht an allem schuld. Aber es macht einen Unterschied.
Dass Social Media für die AfD bei der Gewinnung und Mobilisierung neuer Unterstützer:innen eine wichtige Rolle gespielt hat, ist jedoch naheliegend: Die AfD wurde während der Flüchtlingskrise von traditionellen Medien weitestgehend nicht beachtet und hat stattdessen aktiv digitale Kanäle genutzt, um ihre Unterstützer:innen zu mobilisieren. Gleichzeitig hat die Flüchtlingskrise eine Vertrauenskrise in traditionelle Medien erzeugt und somit das Tor für digitale Medien geöffnet. Dies galt insbesondere für (spätere) AfD-Wähler. Dass die AfD während der Flüchtlingskrise auf Social Media überaus erfolgreich war, sowohl im Vergleich zu anderen politischen Parteien als auch im Vergleich zu anderen Zeitfenstern, zeigen die Facebook-Statistiken.Wir sehen in dieser Analyse ein klassisches Beispiel für die Dynamiken und die Funktionsweise digitaler Gegenöffentlichkeiten und ihrer Bedeutung für politische und gesellschaftliche Veränderungsprozesse. Digitale Gegenöffentlichkeiten können nur im Zusammenspiel mit anderen strukturellen Faktoren und Langzeitentwicklungen erfolgreich sein. Sie sind damit ein Faktor, aber nicht der Grund, für den Erfolg der politischen Akteur:innen. So war das Internet für das Comeback der AfD keinesfalls allein verantwortlich. Eine Reduzierung auf den Einfluss digitaler Medien wäre falsch und nicht zielführend. Im Gegenteil profitierte die Partei vor allem von dem historischem „Geschenk“ der Flüchtlingskrise, um es mit den Worten des damaligen Bundesvorstands Alexander Gauland auszudrücken. Aber das Internet hat einen Unterschied gemacht: Es hat der AfD erlaubt, an den traditionellen Medien vorbei direkt zu ihren Unterstützer:innen zu kommunizieren. Die AfD konnte mithilfe des Internets und der sozialen Medien eine digitale Gegenöffentlichkeit errichten.
[4] Das Projekt Pluragraph.de wurde vorrübergehend eingestellt, wird aber vom (Social) Media Observatory übernommen und falls möglich neu aufgesetzt werden.