Historische Informationen und Quellen sind ein wesentlicher Bestandteil des Instagram-Account "@ichbinsophiescholl". Hans-Ulrich Wagner zeigt, wie mit den Dokumenten historische Authentizität hergestellt wird und wie diese weiterführende Diskussionen gleichsam triggern.
Dieser Beitrag ist der dritte von sechs Teilen des Dossiers „Sophie Scholl auf Instagram: Eine kommunikations- und geschichtswissenschaftliche Untersuchung“. Eine Literaturliste zum gesamten Dossier finden Sie hier.
Im Zusammenhang mit der Frage nach Wissensvermittlung steht die Frage, wie mit historischen Informationen und mit Quellen umgegangen wird. Zwar wird das Storytelling des Instagram-Accounts wesentlich von den zahlreichen Reels getragen, doch liefert der Account immer wieder auch ausführliche historische Informationen: Etwa wenn er – angesichts des Berufsverbots für den Vater von Sophie Scholl – erklärt, wie „Berufsverbote“ im „Dritten Reich“ zustande kamen und was diese für die betroffenen Familien bedeuteten (#TeamSoffer zum Post vom 22.11.2021). In einem weiteren Kommentar zum selben Post wird dabei ein Bezug zur Gegenwart hergestellt, indem verdeutlicht wird, dass die heute selbstverständliche Möglichkeit für Studierende, bei geringem Einkommen der Eltern einen BAföG-Antrag zu stellen, damals noch nicht gegeben war (als Antwort auf eine/n User*in).
Überdies arbeitet der Account regelmäßig mit historischen Quellen. So werden einzelne NS-Dokumente gepostet und kritisch kommentiert. Ein Beispiel hierfür ist die Weihnachtsausgabe der „parteiamtlichen Frauenzeitschrift“ „Frauen-Warte“ (26.12.2021). Der abgebildete Weihnachtsbaum, geschmückt mit germanischen Symbolen, wird mit Ausführungen zur Instrumentalisierung des Festes durch die Nationalsozialisten verknüpft und diese Vereinnahmung in der Folge mit den Nutzenden diskutiert (326 Kommentare, 3.1.2022). Wiederholt werden Publikationen in Video-Sequenzen integriert, etwa wenn Sophie und ihre Freunde originale Bücher und Zeitschriften in den Händen halten (17.6., 21.7., 3.9., 15.9.2021) und im Text die Bedeutung von deren Lektüre kurz aufgezeigt wird. Demonstrativ werden zeitgenössische Briefmarken mit dem Hitler-Profil gezeigt (20.7.2021) und ein NSDAP-Parteiabzeichen (30.11.2021) ins Bild gerückt. Bislang vier Mal wurde eine Ausgabe der NSDAP-Zeitung „Völkischer Beobachter“ als Grundlage für eine Meme-artige Collage genutzt, um auf diese Weise Sophies Widerspruch zu den NS-Verlautbarungen zum Ausdruck zu bringen. Bislang drei Mal griff der Account auf Propaganda-Plakate zurück (28.6., 27.8., 28.12.2021), acht Mal auf historische Fotos und elf Mal auf alte Filmaufnahmen.
Die Bildbeschreibungen, die manchmal im Text gegeben werden, muten aus Sicht von Historiker*innen freilich anachronistisch an, etwa wenn von „Videoaufnahmen [sic!]“ die Rede ist (10.5.; 31.5.2021). Überhaupt sind die Angaben sehr allgemein gehalten, etwa wenn es heißt: „Alte Archivaufnahmen“ (14.8.2021). Nur an einer Stelle wird ausdrücklich auf die Tatsache hingewiesen, dass die Ausschnitte aus „Propagandafilmen“ stammen (31.5.2021).
Der Post vom 17.11.2021 verdient in diesem Zusammenhang besondere Aufmerksamkeit (257.733 Aufrufe; 3.1.2022). Er zeigt eine 20-Sekunden-lange Sequenz, redaktionell beschrieben als „Schwarz-Weiß Videos von Soldaten an der Front im Schnee“. Im dazugehörigen Text des Posts wird darauf angespielt, dass es sich nicht um „Wochenschau“-Material handele, wie es auch Sophie Scholl aus ihren Kinobesuchen zur Genüge kenne. Im historischen Reel handelt es offensichtlich um von einzelnen Soldaten gedrehte „Aufnahmen von der Ostfront“. Dass diese, wie es heißt, „fast nur gut gelaunte Soldaten“ zeigen, liege an der Kontrolle solcher privater Aufnahmen: Es dürfen „nur positive Bilder aufgenommen werden“. Andeutungsweise berichtet Sophie, dass es „auch noch andere“ Filmrollen gebe, die im Widerspruch zu den „Propagandabilder[n] aus der Wochenschau“ stünden und „mordende Soldaten und tote Zivilisten“ zeigen. Mit 122 Kommentaren wird zwar vergleichsweise wenig mit dem Post interagiert, doch löste der Post aus, dass einige Nutzer*innen von Front-Geschichten aus ihren Familien berichten.
Die Antwort auf die Frage, wie mit Dokumenten und speziell mit nationalsozialistischen Quellen umgegangen wird, greift sicherlich zu kurz, wenn sie sich allein auf den quellenkritischen Aspekt fokussiert. Hierzu machte die den Account beratende Journalistin und Historikerin Maren Gottschalk klar: „Das finde ich, ist gerade das Besondere, dass wir sagen, wir machen keine Fußnoten. Denn in dem Moment, wo unten im Kommentar erscheint jetzt: ‘Das kommt daher und das kommt daher und so weiter’ wäre das für die jungen Leute schon wieder komplett out“ (Gottschalk, zit. nach Hespers 2021). Weit aufschlussreicher sind zwei Beobachtungen: 1.) die Beobachtung, wie der Account das Quellen-Material als Ausgangspunkt nimmt für eine damit einhergehende Zuschreibung von historischen Authentizität (vgl. Classen, Saupe & Wagner 2021); sowie 2.) wie er darüber hinaus die Dokumente gleichsam als 'Trigger' versteht, um anhand der Dokumente weiterführende Diskussionen zu entfachen.
Titelbild: Screenshot Instagram @ichbinsophiescholl (BR & SWR)
Literatur
- Classen, Christoph; Saupe, Achim; Wagner, Hans-Ulrich (2021): Authentizität, Medien, Moderne. Eine Beziehungsgeschichte zur Einführung. In: Dies. (Hg.): Echt inszeniert. Historische Authentizität und Medien in der Moderne. Potsdam: zdbooks. Online-Publikation.
- Hespers, Nora (2021): Sophie Scholl als Insta-Freundin: Das heikle Spiel mit einer historischen Figur. In: übermedien.de, 28.5.2021. [13.12.2021].