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Das Internet: Eine Diskriminierungstechnologie

Das Internet: Eine Diskriminierungstechnologie

01.07.2020

Sprechen wir über das Internet, so assoziiert jede*r einen anderen ersten Impuls: die Möglichkeit zu Kommunikation außerhalb der Schranken von Zeit und Raum, eine Tür zu neuen Begegnungen, neuem Wissen, ein Ort, an dem man Gleichgesinnte trifft und – gerade in diesen Zeiten – ein Fenster zur Welt. Als technische Struktur wird das Internet durch die in ihm agierenden Akteur*innen geprägt, geformt, vermachtet. Ist das Internet tatsächlich eine neutrale Technologie, gar eine, die uns ermöglicht, unser Selbst und unsere Rollen neu zu erfinden?
Technik und Geschlecht stehen seit jeher im Wechselverhältnis: Technik kann bestehende Rollen festschreiben, sie kann ebenso Räume bieten, aus diesen auszubrechen. Das potenzielle Aufbrechen von Geschlechterzuschreibungen hat Donna Haraway schon 1985 in ihrem Cyborg Manifesto beschrieben. Dennoch lässt sich fragen: Bricht das Internet hegemoniale Grenzen tatsächlich auf oder verstärkt es diese nicht zusätzlich, normiert geradezu tradierte Systeme?
 
Denn auch wenn es auf der Oberfläche so aussieht, als erlaube uns die Digitalisierung zunehmend, unsere sozialen Rollen zu de- und neu zu konstruieren, so lässt eine intersektionale feministische Perspektive daran zweifeln. Intersektionale Perspektiven nehmen ineinandergreifende, sich teils verstärkende Strukturen von Ungleichheit, Macht und Herrschaft in den Blick, und ein besonderer Fokus liegt dabei auf der wechselseitigen Konstitution von Rassismus und Sexismus in ihren gesellschaftsstrukturierenden Formen. Es geht also klassisch um das Sichtbarmachen und Anerkennen von mehrfach diskriminierten Gruppen. Als (Ausschluss-)Kategorien gelten race, class und gender, die in Personen und Gruppen nicht selten als Mehrfachidentitäten zusammenfallen und oftmals in der Addition die Potenz für strukturelle Diskriminierungserfahrungen (oft zusätzlich erweitert um Antisemitismus, Homophobie, Transphobie oder Ableismus) verstärken.[1]
 

Nehmen wir als Beispiel eine Straßenkreuzung, an der der Verkehr aus allen vier Richtungen kommt. Wie dieser Verkehr kann auch Diskriminierung in mehreren Richtungen verlaufen. Wenn es an einer Kreuzung zu einem Unfall kommt, kann dieser von Verkehr aus jeder Richtung verursacht worden sein – manchmal gar von Verkehr aus allen Richtungen gleichzeitig. Ähnliches gilt für eine Schwarze Frau, die an einer „Kreuzung“ verletzt wird; die Ursache könnte sowohl sexistische als auch rassistische Diskriminierung sein."
– Kimberlé Crenshaw (1989): Demarginalizing the Intersection of Race and Sex[2]
 

Es beginnt bei der Frage des Zugangs
Schauen wir zunächst auf die systemischen, unterliegenden Diskriminierungsstrukturen des Internets. Das Internet ist eng verknüpft mit der Frage des Zugangs zu materiellen wie immateriellen Ressourcen. Diese sind bekanntlich ungleich verteilt, darauf machen feministische und anti-rassistische Bewegungen schon lange aufmerksam: Frauen*, BIPoC (Black, Indigenous and People of Color) und LGBTIQA+ (Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Intersex, Queer, Asexual & other diverse sexual orientations and gender Identities) kritisieren sowohl begrenzte Zugangschancen und Teilhabemöglichkeiten, schlechtere Chancen auf Bildung sowie die geringere Beteiligung an Entscheidungsprozessen und Machtpositionen. Diese ungleiche Verteilung der Ressourcen wird durch die Digitalisierung zunehmend sichtbar und verschärft.
 
In den letzten Monaten, während des Corona-Lockdowns, haben wir deutlich gesehen, dass der Zugang zum Internet als Instrument der Teilhabe und Daseinsvorsorge eine Grundvoraussetzung ist, um am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Gerade mit Blick in die Bildungslandschaft und auf das Thema Chancengleichheit und digitale Souveränität sind hier aber noch große Lücken zu schließen. Neben dem Zugang zum Internet bezüglich Breitband, neben Hardware und Software spielt vor allem das Thema der Media Literacy oder Medienkompetenz eine entscheidende Rolle dabei, wie Menschen das Internet nutzen, – und noch immer entscheidet darüber vielfach der sozio-ökonomische Hintergrund.
 

Im Großen und Ganzen zeigt sich, dass jene, die sich bereits in einer privilegierten gesellschaftlichen Position befinden, in einem höheren Ausmaß von der Verfügbarkeit des neuen Mediums profitieren. Das heißt, es tritt jeweils das Muster sich selbst verstärkender Ungleichheiten auf."
– Nicole Zillien: Digitale Spaltung – Reproduktion sozialer Ungleichheiten im Internet[3]

 
Diskriminierungskategorien nur schwer sichtbar zu machen
Schaut man mit einem intersektionalen feministischen Fokus auf das Thema Zugang zum Internet sowie Nutzung desselben, so wird schnell deutlich, dass disaggregierte Daten kaum auffindbar sind. Internetzugang und Nutzung nach Zahlen in Deutschland lässt sich einzig in relativ breiten Kategorien auswerten: So finden sich klassische Gliederungen nach der binären Geschlechterzuschreibung, nach Alter, Wohnort, Bildungsstand und Einkommen.[4] Aus der deutschen Geschichte heraus sowie mit Blick auf den Datenschutz werden kleinteiligere Daten, die zum Beispiel in der Verschränkung von Geschlecht und Ethnie besonders vulnerable Gruppen im Kontext Digitalisierung erfassen könnten, nicht erhoben.
 
Auch wenn dieses Vorgehen (historisch) gut begründbar ist, heißt es doch, dass potenzielle Diskriminierungskategorien und Ausschlusssysteme nur schwer sichtbar gemacht werden können. Um zum Beispiel Rassismuserfahrungen analog wie digital sichtbar zu machen, reicht die Kategorie “Migrationshintergrund” schlicht nicht aus.[5] Wenn man dagegen ins internationale Feld schaut, wird schnell deutlich, dass Diskriminierungssysteme intersektional verschränkt digital nicht nur tradiert, sondern zum Teil sogar verstärkt werden.
Digitale Gewalt trifft marginalisierte Gruppen mehr als andere
Sexist oder Gendered Hate Speech betrifft Frauen* unterschiedlich stark, betrifft sie aber vor allem in ihrer Unterschiedlichkeit.[6] Amnesty International hat in diesem Bereich festgestellt, dass Schwarze Frauen* zum Beispiel deutlich häufiger von Hate Speech auf Twitter betroffen sind als weiße Frauen*.[7] Sich überlappende Formen der Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit, Hautfarbe oder sexueller Identität bricht sich in sozialen Medien oft ungebremst Bahn. Digitale Gewalt betrifft insbesondere marginalisierte Gruppen: Sexismus, Rassismus, Antisemitismus, Ableismus, Trans‑ und Homophobie prägen diesen Komplex. Ständige Bedrohung online führt zu Rückzugsmechanismen oder Silencing, das ist empirisch belegt.[8] Dies schließt digital wie analog Betroffene aus diskursiven Räumen aus, hindert sie daran, ihre Meinungsfreiheit auszuüben, führt letztlich zu einer verzerrten Mehrheitswahrnehmung im sogenannten öffentlichen Raum und konterkariert mithin unser Verständnis von Demokratie als solcher.
 
Digitale Gewalt ist jedoch nicht nur ein Phänomen des öffentlichen Diskurses. Es reicht bis weit in den Bereich des Internet of Things, wo Frauen* auch privat von Überwachungs-Apps heimlich ausgespäht und getrackt werden.[9] Überwachung und Kontrolle sind seit jeher patriarchale Instrumente für ein System sozialer Unterdrückung – und sozialer Ausgrenzung.[10] Wie im Bereich der analogen häuslichen Gewalt fehlen gerade in diesem privaten Bereich evidente Zahlen, um eine wissenschaftliche Auseinandersetzung und eine anhängende gesellschaftliche Debatte überhaupt erst einmal möglich zu machen.
Diskriminierung durch Code und Kapital
Im Komplex Künstliche Intelligenz ist schon länger klar, dass diskriminierende Stereotype sich im Code manifestieren[11], also mit eingeschrieben werden in den Bausatz von innovativen Technologien. Es ist hinlänglich bekannt, dass biometrische Gesichtserkennung, die vorwiegend in einem männlich dominierten Raum im weißen globalen Norden entwickelt wird, lange nicht in der Lage war, Schwarze Menschen und People of Colour zu identifizieren, da sie sich überwiegend auf Trainingsdatensätze weißer Personen stützte.
 

Machtstrukturen sind schon in der technischen Infrastruktur fest angelegt. Sie führen die Geschichte des Kolonialismus auch in der virtuellen Sphäre fort: in Gestalt des 'digitalen' oder 'elektronischen Kolonialismus'“. 
 – Ina Holev: Digitaler Kolonialismus[12]

 
Gebündelt als Big Data werden tradierte Ausschlusssysteme so implizit in den Code übersetzt. Ähnlich verhält es sich mit KI-Trainingsdatensätzen für autonome Fahrzeuge, die Trainingsdaten von nicht-normierten Körpern wie Rollstuhlfahrer*innen nicht berücksichtigen.[13]
 
Hinzu kommen die Warenkreisläufe, die entlang der alten kolonialen Hierarchien verlaufen; die Rohstoffe des Südens, teils unter menschenunwürdigen Bedingungen gewonnen, kommen für die Tech-Industrie billig nach Norden. Politik und Konzerne sind nicht selten stark vernetzt, fast monopolisiert erscheint das Internet durch die großen proprietären Player aus Silicon Valley, die selbstverständlich ihre ganz eigenen Interessen mit ihren Technologien auch in den globalen Süden tragen, statt lokale Initiativen, ausgerichtet nach lokalen Bedarfen, zu stärken.
 

Die Routen (der Glasfaserkabel) folgen denen der Telegraphenkabel, die wiederum den Routen der Sklavenschiffe folgen. Die digitale Kommunikation der Gegenwart folgt den Kartierungen kolonialer Geografien. Obwohl das Internet als Raum der sozialen Mobilität vermarktet wird, verläuft es entlang historischer und politischer Linien, die Ungleichheiten in seine DNA einbringen."
– Katrin Köppert: „Internet is not in the Cloud.“ Digitaler Kolonialismus[14]

 
Emanzipationsperspektiven: Vernetzung und Öffentlichkeit
Bei aller Kritik soll an dieser Stelle doch auch auf die emanzipatorische Seite des Internets hingewiesen werden. So vielfältig wie die Forschung sind auch die Bewegungen und Allianzen, die im Internet entstanden sind. Neben Plattformen, die Frauen* Sichtbarkeit verschaffen, wie die Speakerinnenliste oder das Womens Experts’ Network, arbeiten Akitvist*innen wie Nanjira Sambuli für einen gleichberechtigten Zugang zum Internet.
 
Caroline Sinders und ihr Feminist Data Set beschreibt die Utopie eines non-biased Internet auf der Grundlage feministischer Datensätze, und Nushin Yazdani und Nakeema Stefflbauer arbeiten in Initiativen wie den Digital Identities Feminist Futures oder FrauenLoop daran, die Bias im Technik-Sektor sowohl auf der Produzent*innen- als auch auf der Outcome-Seite aufzuheben. Was die Forderung nach einem gleichberechtigten Zugang zum Internet und zur Mitsprache an den Normen, die das Internet zunehmend formen, angeht, lohnt sich ein Blick auf die vom APC entwickelten Feminist Principles of the Internet.
 
Auch außerhalb des Internets entsteht endlich ein politischer und juristischer Diskurs um das Thema Hate Speech, und innerhalb des Webs formen sich vielfältige widerständige Praktiken. Hier spielen vor allem intersektionale feministische Hashtag-Aktivismen eine Rolle, wie sie etwa durch #aufschrei, #metoo, #whyididntreport, #blacklivesmatters, #ferguson und #metwo in einer breiten, auch nicht-digitalen Öffentlichkeit wahrgenommen wurden.
 
Diese Aktivismen stehen in der Tradition feministischer Praktiken der Sensibilisierung für Fragen von Ungleichheit und Diskriminierung: Berichte von sexueller und rassistisch motivierter Gewalt zwingen dem digitalen Raum durch die öffentliche Erzählung der eigenen Erlebnisse ihre offenkundige Realität auf und schaffen sich so ihre rechtmäßige Sichtbarkeit. Die so geschaffenen neuen politischen, transnationalen Öffentlichkeiten bieten mannigfaltige Möglichkeiten zum Sichtbar-Machen und Speichern von marginalisiertem Wissen. Dabei wird nicht nur neues Wissen produziert, vielmehr werden hegemoniale Wissenshierarchien in Frage gestellt.
 
Das Internet bleibt so durchaus ein Möglichkeitsraum für emanzipatorische Aktivismen und, mehr noch, ein breites gesellschaftliches Feld für Wissenschaft und Forschung. Ein gar nicht mehr so neuer öffentlicher Raum mit teils ganz eigenen Logiken, der aber nie losgelöst von etablierten gesellschaftlichen Strukturen bewertet werden darf.
 
Weiterführende Literatur aus dem HBI zum Thema
Das Thema Reproduktion sozialer Ungleichheiten durch Digitalisierung beschäftigt uns am Institut auch innerhalb unseren neuen Forschungsinstituts gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ), mehr dazu hier:  https://www.leibniz-hbi.de/de/projekte/forschungsinstitut-gesellschaftlicher-zusammenhalt-fgz.
 
Mehr zum Thema des Blogartikels hier: Mosene/ Dinar / Koster / Schmidt, Zoff um Wiki, in: MISSY MAGAZIN #03/20 Unser Netz! 14 Seiten über das feministische Internet (Juni/Juli 2020).
 
Und hier: Mosene, K; Kettemann, M. C. (Hrsg.) (2019): Many Words. Many Nets. Many Visions. Critical Voices, Visions, and Vectors for Internet Governance. Berlin: Alexander von Humboldt-Institut für Internet und Gesellschaft (HIIG). 
 
 
[3] Nicole Zillien (2013): Digitale Spaltung – Reproduktion sozialer Ungleichheiten im Internet. Bundeszentrale für politische Bildung: Die Netzdebatte.
[4] Gern mal eine eigene Recherche bei z. B. Statista versuchen!
[5] Eine spannende Initiative zur Erweiterung des Blickwinkels ist der Afrozensus: https://afrozensus.de, ein Interview mit der Projektleitung kann man hier nachlesen: https://www.akweb.de/ak_s/ak661/29.htm.
[6] Für eine ausführliche Einschätzung dazu: Kettemann/Mosene, Hassrede und Katzenbilder (2019): Ausgewählte menschenrechtliche Aspekte der Governance von Meinungsäußerungen im Internet, in: Elisabeth Greif und Silvia Ulrich (Hrsg.), Hass im Netz – Grenzen digitaler Freiheit. Linz: Böhlau, 92–122.
[7] Siehe Amnesty International 2018: "In the case of online violence and abuse, women of colour, religious or ethnic minority women, lesbian, bisexual, transgender or intersex (LBTI) women, women with disabilities, or non-binary individuals who do not conform to traditional gender norms of male and female, will often experience abuse that targets them in a unique or compounded way", Amnesty International, Online Violence against Women (2018), Kap. 2, .
[8] Daniel Geschke, Anja Klaßen, Matthias Quent, Christoph Richter (2019): Hass im Netz – Der schleichende Angriff auf unsere Demokratie, IDZ Jena, 28.
[10] Siehe z. B. Nicole Shephard (2017): What is sexual surveillance and why does it matter?.
[11] Vgl. z. B. Nicole Shepard: Was hat Überwachung mit Sex und Gender zu tun?, 2017b. In: Denknetz-Jahrbuch 2017 – Technisierte Gesellschaft, 108–116.
[12] Ina Holev (2020): Digitaler Kolonialismus.
[14] Katrin Köppert (2019): „Internet is not in the Cloud.“ Digitaler Kolonialismus.


Bild: Daryan Shamkhali / Unsplash 

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