Stell dir vor, es ist Rundfunk und keiner schaut hin. Ganz so dramatisch ist die Situation zwar noch nicht, aber insbesondere dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk fehlt es an Nachwuchspublikum. Doch wie erreicht man eigentlich eine Zielgruppe, die sich – anders als vorherige Generationen – nicht mehr jeden Abend vor dem (linearen) Fernsehprogramm versammelt? ARD und ZDF haben mit funk ein Jugendangebot etabliert, das junge Menschen dort erreichen will, wo sie sich aufhalten: in den sozialen Medien. Ob und wie das gelingen kann, fragt sich Johanna Wolleschensky.
von Johanna Wolleschensky
Mit dem Aufkommen von Videoportalen, Social Media und Streaming-Diensten hat sich die Rezeption audiovisueller Inhalte in den vergangenen Jahren zunehmend ins Internet verlagert.[1] Diese Entwicklung stellt den öffentlich-rechtlichen Rundfunk vor neue Herausforderungen. Denn obwohl die meisten jungen Menschen die Öffentlich-Rechtlichen bzw. konkret den ARD-Medienverbund für vertrauenswürdig und wichtig für die Allgemeinheit halten, ist diese Zielgruppe über die klassisch linearen (Fernseh-)Angebote und auch über die Mediatheken nicht mehr vollumfänglich zu erreichen.[2] Damit entwickelt sich die Tendenz weiter, dass sich gerade das junge Publikum verstärkt anderen Plattformtypen und nicht mehr etablierten (TV-)Marken zuwendet.[3] Da der öffentlich-rechtliche Rundfunk laut Programmauftrag zu einem Angebot für alle verpflichtet ist[4], musste also eine neue Strategie her. Und so ging am 1. Oktober 2016 funk – das Jugendangebot von ARD und ZDF – online.
Der große Netzwerk-Check
Funk ist ein Online-Only-Angebot und dementsprechend nur im Internet verfügbar. Das Angebot richtet sich nach eigenen Angaben an junge Menschen zwischen 14 und 29 Jahren.Funk bezeichnet sich selbst als dezentrales Netzwerk und besteht aus verschiedenen Kanälen – so werden die einzelnen Formate bei funk bezeichnet –, die ihre Inhalte über Drittplattformen wie YouTube oder Instagram und zusätzlich über öffentlich-rechtliche Plattformen ausspielen (siehe Abb. 1).
Abbildung 1: funk-Netzwerk und Verbreitungsstrategien

Anmerkung: Stand: 14.07.2021. Der Fokus dieser schematischen Darstellung liegt auf (Bewegt-)Bild-Formaten. Podcast-Formate und deren Verbreitung über Spotify, Apple Podcasts und die ARD-Audiothek wurden nicht näher betrachtet. Die untersten Zeilen sind zwar kaum lesbar, die Struktur wird aber deutlich.
Das Label funk agiert hier als Dachmarke, tritt aber laut eigenen Angaben hinter den Einzelformaten zurück.[5] Dementsprechend werden Inhalte auf den eigenen Social-Media-Kanälen der Formate gepostet. Beispielsweise werden Inhalte von Deutschland3000 in erster Linie auf den gleichnamigen Instagram- und Facebook-Kanälen Deutschland3000 veröffentlicht.
Dass Kanäle und ihre produzierten Inhalte zum funk-Netzwerk gehören, wird häufig erst mit Blick auf die Kanal-, Bild- oder Videobeschreibungen oder bei Videos und Bildbeiträgen durch das in der Ecke bzw. in der Endcard (interaktiver Abspann) von Videos eingeblendete funk-Logo ersichtlich.
Einen Überblick über die zum Netzwerk gehörenden Kanäle bekommen die Nutzer dementsprechend erst mit Blick auf die funk-eigenen Plattformen (funk.net bzw. die funk-App). Hier werden die Inhalte der Kanäle in plattformspezifischer Machart zentral zur Verfügung gestellt. Das heißt, wenn ein Kanal bei Instagram eine Story postet, kann man diese auch ohne Nutzung von Instagram bei funk.net anschauen. Damit reagiert funk auf die häufig genannten Risiken der Drittplattformen (z. B. Autonomieverlust, Datenschutz etc.) und will nach eigenen Angaben „niemanden zur Nutzung von Drittplattformen […] ‚ zwingen‘“[6]. Seit Oktober 2020 stellt funk zudem ausgewählte Beiträge (in erster Linie Formate, die im Querformat produziert wurden) in der ARD- sowie ZDF-Mediathek zur Verfügung.
Der Netzwerk-Charakter wird außerdem auch durch übergreifende funk-Accounts bei Instagram und Facebook sowie mittlerweile TikTok deutlich. Hier werden ausgewählte (teilweise schon ältere) Inhalte bestimmter funk-Kanäle erneut gepostet. Teilweise werden auch eigene Beiträge der funk-Redaktion veröffentlicht, was allerdings der eigenen Aussage, keine Dachmarkenstrategie zu verfolgen[7], widerspricht. Der funk-Account auf YouTube stellt hier eine Ausnahme dar, da hier in der Regel keine Beiträge der anderen funk-Kanäle erneut veröffentlicht werden, sondern das Einzelformat Pen&Paper. Zwischen den Einzelformaten gibt es außerdem Querverweise in Form von Crosspromotion-Aktionen, Gastauftritten oder Verlinkung in den Endcards bei YouTube[8].
Die Verbreitungsstrategien wissenschaftlich geprüft
Das Netzwerk soll laut Medienstaatsvertrag entwicklungsoffen gestaltet und verbreitet werden (MStV, § 33, Abs. 2). Dementsprechend sollen Verbreitungsstrategien angepasst werden, wenn das veränderte Nutzungsverhalten der jungen Zielgruppe dies erfordert. Um die teils undurchsichtigen Verbreitungsstrategien im Netzwerk zu analysieren, habe ich vom 12.–14.07.2021 eine Strukturanalyse der 47 non-fiktionalen funk-(Bewegt-)Bild-Kanäle durchgeführt. Nicht betrachtet habe ich fiktionale Kanäle, Kanäle, bei denen die Zusammenarbeit bereits beendet wurde, sowie Kanäle, die in erster Linie Podcast-Formate sind.Die Analyse zeigt, dass die Anpassung der Verbreitungsstrategien nicht nur eine Vorgabe auf dem Papier ist, sondern auch tatsächlich umgesetzt wird. Während im Jahr 2017 die meisten funk-Formate vor allem auf YouTube (83 %) und Facebook (70 %) aktiv waren[9], hat funk seine Verbreitungsstrategie vor dem Hintergrund der mittlerweile eher geringen Beliebtheit von Facebook bei Jugendlichen[10] angepasst: Nur noch zwölf der ursprünglich 22 Kanäle verbreiten ihre Inhalte bei Facebook. YouTube spielt weiterhin die größte Rolle: 83 Prozent der Kanäle veröffentlichen ihre Inhalte dort. Die zweitwichtigste Plattform im Netzwerk ist mittlerweile Instagram: Insgesamt 35 Kanäle sind hier aktiv. TikTok und Snapchat nehmen trotz ihrer zunehmenden Verbreitung bei der jüngeren Zielgruppe[11] eine eher untergeordnete Rolle ein: Sieben Kanäle sind bei TikTok zu finden und vier Formate bei Snapchat.[12] Dabei spielen sehr wenige Formate ihre Inhalte auf nur einem sozialen Netzwerk aus. In den meisten Fällen werden zwei oder mehr Plattformen gleichzeitig mit Inhalten befüllt. Durch die komplexe Architektur des Content-Netzwerks (siehe Abbildung 1) können die Kanäle die Nutzer über viele Wege erreichen.
Die Strategie, Inhalte dort zu verbreiten, wo sich junge Menschen aufhalten, scheint aufzugehen: Laut einer repräsentativen Online-Befragung der SWR- und ZDF-Medienforschung hatten 2020 70 Prozent der 14- bis 29-Jährigen schon einmal ein funk-Format genutzt und 82 Prozent kannten die Marke funk.[13]
Die Community: SO wird die Zielgruppe einbezogen #Partizipation
Dass die Kanäle im funk-Netzwerk ihre Inhalte in erster Linie über Drittplattformen ausspielen, hat allerdings nicht nur den Zweck, die Zielgruppe zu erreichen, sondern ermöglicht es den Kanälen auch, in den Austausch mit der Zielgruppe zu treten.[14] So werden die Nutzer in vielen Formaten explizit dazu aufgerufen, ihre Meinung bzw. Kritik und (Themen-)Anregungen in die Kommentarspalte zu schreiben. Gleichzeitig spielt das Community Management nach eigenen Aussagen eine große Rolle[15]: Kommentare werden beantwortet und Diskussionen moderiert.Interessant ist auch, dass auch die Zielgruppe selbst zum Produzenten werden kann. Nach eigenen Angaben kann jede Person eine Formatidee einreichen.[16] Damit berücksichtigen scheinbar auch die Öffentlich-Rechtlichen die immer stärkere Auflösung der traditionellen Unterscheidung von „Produzenten“ und „Rezipienten“ und tragen insofern zu einer stärkeren Partizipation der Zielgruppe bei.
Parshad, warum gehörst du jetzt zu funk?
Schaut man sich an, welche Personen im Mittelpunkt der Formate stehen, fallen drei Strategien auf:- In der Öffentlichkeit unbekannte Personen werden Hosts eines neu entwickelten Formats (Bsp.: psychologeek).
- In der Öffentlichkeit bereits bekannte Personen werden Hosts eines neu entwickelten Formats (Bsp.: Parshad).
- Bereits bekannte Hosts werden inklusive ihrer bestehenden Formate in das Netzwerk aufgenommen (Bsp.: Phil Laude).
Mit Blick auf die Hosts ist auch bemerkenswert, dass funk trotz der Fokussierung auf die Hosts eines Kanals einige bereits bestehende Kanäle mit neuen Hosts ausstattete (Bsp. HackMe!). Inwiefern die Hosts mit den Formaten gleichgesetzt werden und deshalb der Austausch von Hosts zu einer Abwendung vom Format bei der Zielgruppe führt, wurde aber bislang noch nicht untersucht.
Forschung zu funk: Warum wir einen Perspektivwechsel brauchen
Mit Blick auf Nutzungszahlen und Bekanntheit scheint es ARD und ZDF mit funk tatsächlich zu gelingen, viele junge Menschen zu erreichen. Möglicherweise ist dieser Perspektivwechsel bei der Adressierung von jungen Menschen der zentrale Faktor, der die Legitimität des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auch im digitalen Zeitalter sichert. Was hinter Abozahlen und Videoklicks jedoch weitestgehend unberücksichtigt bleibt, ist die Perspektive der Zielgruppe auf funk. Zwar gibt es nach eigenen Angaben qualitative Studien der SWR- und ZDF-Medienforschung, in denen Format-Macher und Zielgruppe gemeinsam über funk-Inhalte diskutieren[17], allerdings werden die Ergebnisse nur selten veröffentlicht und stehen auch unter einem gewissen Legitimationsdruck.Unabhängige Forschung ist also notwendig um zu klären, inwiefern es sich bei funk aus der Perspektive von jungen Menschen tatsächlich um eine zielgruppengerechte Ansprache handelt. Dies betrifft sowohl die Verbreitungsstrategien als auch die inhaltliche Ausrichtung der Formate und die Machart der Beiträge. Interessant dürfte zudem sein, ob und inwiefern einzelne Formate überhaupt funk und damit den Öffentlich-Rechtlichen zugeordnet werden können und was dies mit der Wahrnehmung der einzelnen Formate bzw. der Dachmarke bei jungen Menschen macht. Konkret heißt dies: Werden die Dokus von TRU DOKU oder dem Y-Kollektiv beispielsweise als vertrauenswürdiger als „freie“ YouTube-Formate wahrgenommen, weil sie zu funk gehören? Und inwiefern werden einzelne Hosts anders und zum Beispiel als weniger authentisch wahrgenommen, wenn sie sich dem funk-Netzwerk anschließen?
Aus methodischer Sicht stellt sich angesichts der diversifizierten Struktur, der unterschiedlichen thematischen Ausrichtung der Formate und der dynamisch wechselnden Angebote die Frage, ob man sich mit Blick auf die Analyseeinheit mit funk als Dachmarke, mit einem oder mehreren Einzelformat(en) oder mit einzelnen Inhalten (Posts) beschäftigen sollte. Zudem stellt sich die Herausforderung, dass einzelne Kanäle – selbst wenn sie den Nutzern bekannt sind – möglicherweise nicht immer funk zugeordnet werden können.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk scheint sich also über soziale Medien ein junges Publikum zurückzuerobern. Vielfach wissen die jungen Menschen aber gar nicht, dass sie da ein öffentlich-rechtliches Angebot vor sich haben. In einer 2021 erschienenen Studie zur Informations- und Nachrichtenkompetenz wusste nur ein Drittel der 18- bis 29-Jährigen, dass es sich bei funk um ein öffentlich-rechtliches Angebot handelt.[18] Vielleicht sieht die Zukunft der Öffentlich-Rechtlichen doch ein bisschen anders aus: Stell dir vor, es ist öffentlich-rechtlicher Rundfunk und alle schauen hin – nur keiner weiß, dass er es ist.
Literatur
Breunig, Christian; Handel, Marlene; Kessler, Bernhard (2020): Massenkommunikation 1964-2020: Mediennutzung im Langzeitvergleich. Ergebnisse der ARD/ZDF-Langzeitstudie. In: Media Perspektiven 2, S. 410–432.Egger, Andreas; van Eimeren, Birgit (2016): Bewegtbild im Internet: Markt und Nutzung digitaler Plattformen. Analyse des Marktumfelds und empirische Ergebnisse aus der ARD/ZDF-Onlinestudie. In: Media Perspektiven 2, 108-119.
Feierabend, Sabine; Philippi, Pia; Pust-Petters, Anna (2018): funk – das Content-Netzwerk von ARD und ZDF. Quantitative und qualitative Forschung zum jungen öffentlich-rechtlichen Angebot. In: Media Perspektiven 1, S. 10–15.
Feierabend, Sabine; Rathgeb, Thomas; Kheredmand, Hediye; Glöckler, Stephan (2020): JIM-Studie 2020. Jugend, Information, Medien 2020. Hrsg. vom Medienpädagogischen Forschungsverbund Südwest. Stuttgart. https://www.mpfs.de/fileadmin/files/Studien/JIM/2020/JIM-Studie-2020_Web_final.pdf [08.03.2022].
funk (2020): funk-Bericht 2020. https://presse.funk.net/pressemeldung/funk-bericht-2020/ [08.03.2022].
funk (o. J.): Formatidee. https://www.funk.net/formatidee [08.03.2022].
Granow, Viola (2020): funk – das Content-Netzwerk von ARD & ZDF. In: Tanja Köhler (Hrsg.), Fake News, Framing, Fact-Checking. Nachrichten im digitalen Zeitalter. Transcript, S. 363–380.
Koch, Wolfgang; Beisch, Natalie (2020): Erneut starke Zuwächse bei Onlinevideo. Ergebnisse der ARD/ZDF-Onlinestudie 2020. In: Media Perspektiven, S. 482–500, https://www.ard-media.de/fileadmin/user_upload/media-perspektiven/pdf/2020/0920_Koch_Beisch_Korr_30-11-20.pdf [08.03.2022].
Maurer, Torsten; Spittka, Eva; Benert, Vivien (2018): Onlineangebote deutscher Fernsehveranstalter für die Zielgruppe der Millenials. In: die medienanstalten (Hrsg.), Content-Bericht 2017. Forschung, Fakten, Trends. VISTAS, S. 25–53.
Meßmer, Anna-Katharina; Sängerlaub, Alexander; Schulz, Leonie (2021): "Quelle: Internet“? Digitale Nachrichten- und Informationskompetenzen der deutschen Bevölkerung im Test 2021. Hrsg. von der Stiftung Neue Verantwortung e. V., Berlin. https://www.stiftung-nv.de/sites/default/files/studie_quelleinternet.pdf [08.03.2022).
o. Verf. (2020): 70 Prozent der Zielgruppe nutzen funk-Formate. Pressemitteilung des ZDF vom 24.09.2020, https://presseportal.zdf.de/pressemitteilung/mitteilung/70-prozent-der-zielgruppe-nutzen-funk-formate/.
van Eimeren, Birgit; Egger, Andreas (2019): Die ARD aus Sicht der Bevölkerung: Reichweiten und Wert des ARD-Medienverbunds. In: Media Perspektiven, S. 462–475, https://www.ard-media.de/fileadmin/user_upload/media-perspektiven/pdf/2018/1018_Eimeren_Egger.pdf [08.03.2022].
Wöste, Marlene (1999): Öffentlich-rechtliches Fernsehen: Für Jugendliche nicht jung genug? Nutzungsverhalten und Präferenzen junger Leute beim Fernsehen. In: Media Perspektiven, 11, S. 583–590, https://www.ard-media.de/fileadmin/user_upload/media-perspektiven/pdf/1999/11-1999Woeste.pdf [08.03.2022].