Jeden Morgen ab 6 Uhr informiert der preisgekrönte Tagesspiegel Checkpoint-Newsletter nicht nur Berlinerinnen und Berliner per E-Mail über das tagesaktuelle Geschehen in der Hauptstadt. Im Interview spricht die verantwortliche Redakteurin Ann-Kathrin Hipp über die Idee hinter dem erfolgreichen Angebot, ihre Leser*innen und den Grund, warum sie Journalistin geworden ist.
von Tim van Olphen
„Behörden-Ping-Pong“, „Betriebsstörungs-Bingo“ oder „Amt, aber glücklich“ – so heißen einige der kleinen, unterhaltsamen Formate, die sich regelmäßig im Checkpoint-Newsletter des Berliner Tagesspiegel wiederfinden. Seit November 2014 erreicht der Newsletter mittlerweile jeden Morgen 135.000 Abonnentinnen und Abonnenten. Im „Checkpoint“ beschreiben Redakteurinnen und Redakteure der Hauptstadt-Tageszeitung Alltägliches aus Berlin, ausgewählte Geschichten und Ereignisse der Landespolitik oder nehmen den Ärger und Frust der Berlinerinnen und Berliner auf, falls die Bahn mal wieder ausfällt oder der Radweg immer noch nicht repariert wurde – alles zusammengefasst in unterhaltsamer Form, gespickt mit „Herzens-Content“, wie Tagesspiegel-Redakteurin Ann-Kathrin Hipp erklärt.
Hipp studierte Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin, absolvierte ihr Volontariat beim Tagesspiegel und begann dann dort als Redakteurin. Seit nun fast drei Jahren ist sie verantwortliche Redakteurin des Checkpoint-Newsletters und kümmert sich um die Weiterentwicklung des Produkts und der Formate, moderiert den Checkpoint-Podcast „Eine Runde Berlin“ und verfasst im Wechsel mit ihren Kolleginnen und Kollegen den mit dem Grimme-Preis (2015) bedachten Newsletter.
Im Zuge des Projekts „Journalismus und sein Publikum: Die Re-Figuration einer Beziehung und ihre Folgen für journalistische Aussagenentstehung“, mit dem Prof. Dr. Wiebke Loosen und Julius Reimer herausfinden wollen, wie Journalist*innen mit der wachsenden Komplexität ihres Publikums umgehen, haben wir mit Ann-Kathrin Hipp gesprochen. Das Interview führten Louise Sprengelmeyer und ich. Für den Blog habe ich einige der spannendsten Aussagen zusammengetragen.
Frau Hipp, worum geht es im Checkpoint-Newsletter?
Im Checkpoint geht es um Berlin in all seinen Facetten. Das reicht von landespolitischen Beiträgen bis hin zu „stadtlebigen“ Geschichten. Unser Versprechen ist, dass im Newsletter all das steht, was an dem jeweiligen Tag für Berlin wichtig ist. Wir schauen, was im Tagesspiegel und in anderen Medien veröffentlicht wird, scannen die sozialen Medien, gucken welche Veranstaltungen geplant sind und fassen alle relevanten Punkte zusammen. Dabei verstehen wir den Newsletter nicht nur als reines Informationsangebot, sondern wollen die Informationen auch auf eine unterhaltsame Weise vermitteln. Jede Meldung ist im Prinzip eine kleine Glosse oder ein kleiner Kommentar, der auch die Meinung der Redakteur*innen widerspiegelt. Zusätzlich versuchen wir immer auch inhaltliche Bonbons reinzupacken: eigene, tiefergehende Recherchen, exklusive Meldungen oder – so nennen wir es häufig – „Herzens-Content“: Das sind kleine Stadtgeschichten, die mitunter einfach auf der Straße aufgeschnappt werden, und Berlin zu dem machen, was es ist.Was ist das Besondere an dem Newsletter?
Der Checkpoint lebt von seiner Leserschaft. Wir nutzen ein Medium, das einen sehr direkten Ausrausch mit unserem Publikum ermöglicht. Die Mail kommt morgens aufs Handy, die Ansprache ist sehr persönlich, die Leserinnen und Leser können uns relativ einfach und unkompliziert antworten. In unserem Mail-Postfach landen jeden Tag Feedback, Themenvorschläge und persönliche Beiträge. Zudem laden wir durch Umfragen und interaktive Elemente aktiv zur Partizipation ein. Es gab von Anfang an eine sehr enge Bindung zu den Leserinnen und Lesern.Wieso wird der Newsletter von Ihrer Leserschaft so gut angenommen?
Ich glaube, weil wir nah dran sind. Wir schreiben, was in Berlin in den unterschiedlichen Kiezen und Bezirken passiert, versuchen im Blick zu haben, wo es Missstände gibt, auf die der Newsletter aufmerksam machen kann. Für viele Leserinnen und Leser ist der Checkpoint fast zu einer Art Problemlöser geworden. Wenn die Heizung nicht funktioniert, der Fahrradweg nicht repariert wird oder die Schule schon wieder ausfällt, gibt es ganz viele Menschen, die uns davon berichten. Gleichzeitig schreiben wir immer wieder auch, was in den politischen Hinterzimmern diskutiert wird – was einerseits für die Leserinnen und Leser interessant ist, andererseits aber auch dazu führt, dass die Berliner Politik- und Verwaltungs-Bubble den Newsletter liest.Wie haben Sie denn diese Beziehung aufgebaut und es geschafft, die Leserschaft an Ihr Produkt zu binden?
Zum einen gab es die Interaktion über den Newsletter. Zum anderen haben wir – insbesondere vor der Corona-Pandemie – immer wieder Treffen und Events mit unseren Leserinnen und Lesern organisiert und veranstaltet. Journalismus hat ja durchaus an der ein oder anderen Stelle auch ein Vertrauensproblem. Warum also nicht Leserinnen und Leser treffen, mit ihnen in direkten Kontakt treten und versuchen, Vertrauen aufzubauen? Zu hören, was ihnen wichtig ist?Die Idee war ein bisschen, dass man mit uns in Austausch treten kann und wir gleichzeitig eine schöne Aktion draus machen. Wir sind unter anderem für eine Besichtigung zum Flughafen BER gefahren, bevor er eröffnet wurde. Wir haben eine Laufgruppe ins Leben gerufen, bei der Leserinnen und Leser gemeinsam mit Redakteurinnen und Redakteuren in der Stadt joggen waren. Eine Fahrradgruppe und eine Kinogruppe haben wir auch noch, wobei das durch die Pandemie eingeschränkt ist. Wir merken, dass es eine große Bereitschaft der Leserschaft gibt, an solchen Events teilzunehmen. Für die Beziehung zum Publikum funktioniert das echt gut.
Worüber sprechen Sie mit den Menschen bei solchen Veranstaltungen?
Das ist total gemischt. Als wir die Fahrradtour zum BER gemacht haben, war natürlich der BER das Thema. Bei den Laufgruppen war es so, dass über ganz unterschiedliche Dinge gesprochen wurde. Einige haben uns Fragen zum Arbeitsalltag gestellt oder politische Themen diskutiert. Es gab aber auch Leute, die gekommen sind, um von ihrem Leben oder Problemen zu erzählen oder auch einfach um eine gute Zeit mit einer netten Gruppe zu haben. Wir sind da nicht mit einer deizidierten Agenda dran gegangen, sondern haben einfach mal geguckt, was passiert.Haben Sie durch die Treffen und Veranstaltungen ein spezielles Bild Ihres Publikums im Kopf?
Der Checkpoint ist ja ein Berlin-Produkt. Heißt: Wenn wir unsere grobe Zielgruppe definieren müssten, wären das alle Berlinerinnen und Berliner, aber auch alle, die sich mit der Stadt verbunden fühlen. Wir haben immer wieder Leserinnen und Leser, die uns schreiben, dass sie ein Jahr lang in Berlin gewohnt haben oder eine Tochter in Berlin haben oder kurz mal für ein Jahr im Ausland sind und über den Newsletter eine Verbindung zu dieser Stadt halten wollen.Insgesamt kann man sagen, dass das Publikum ein Ticken jünger ist als die Tagesspiegel-Leserschaft. Bei einer Leserumfrage war einmal ein Student dabei, der sagte, dass der Checkpoint-Newsletter die schnellste Art ist, Berlin kennenzulernen. Dazu kommt, wie gesagt, die Berliner Politik- und Verwaltungs-Bubble. Da ist der Checkpoint oft Pflichtlektüre, weil die Leute wissen wollen, ob sie selbst drinstehen.
Neben dem Newsletter betreuen und moderieren Sie auch den Podcast „Eine Runde Berlin“. Was hat es damit auf sich?
Die Grundidee des Podcast war, nah an den Berlinerinnen und Berlinern zu sein und nicht einfach in irgendeinem Büro zu sitzen und isoliert von dem Rest der Welt über irgendwelche Dinge zu sprechen. Wir wollten gerne raus in die Stadt und haben die Ringbahn relativ schnell als einen Ort identifiziert, an dem sich Menschen aus ganz Berlin versammeln – egal aus welchem Bezirk, egal wie alt und egal, welchen Job sie machen. Perfekter Ort für einen Gesprächspodcast: 60 Minuten, eine Runde, ein Gast – und jeder der zufällig in der Bahn ist, kann sich einmischen, wenn er will.Eingeladen werden nicht nur Prominente, sondern auch „Stadtmenschen“. Wir hatten beispielsweise schon einen Obdachlosen, eine Pfarrerin und eine Kneipenwirtin zu Gast. Also Menschen, die keinen bekannten Namen haben, aber von ihrem Leben und ihrem Berlin erzählen. Im Newsletter haben wir immer wieder auch Aufrufe gestartet, uns Vorschläge zu schicken, welche Personen, welches Berliner Original die Leserinnen und Leser gern im Podcast hören würden. Theoretisch kann sowohl die Oma aus Marzahn als auch die Regierende Bürgermeisterin zu Gast sein.
Antworten Sie direkt auf Anfragen und Anregungen des Publikums, also haben Sie Kontakt zu Ihrer Leserschaft?
Im Idealfall versuchen wir als Autorinnen und Autoren, immer selbst auf die E-Mails zu antworten, sofern sie direkt an uns adressiert sind. Aber wir haben auch eine Redaktionsassistenz, die sich sehr liebevoll um das Postfach kümmert und alles im Blick hat: egal ob inhaltliche Fragen, Formalitäten, Themenanregungen, Lob oder Kritik. Wir versuchen, dass jeder, der uns schreibt, auch eine Antwort bekommt. In einem Unterordner sammeln wir außerdem Mails, die Anlasss für Geschichten oder tiefere Recherchen geben.Eine persönliche Frage zum Abschluss: Wieso sind Sie Journalistin geworden, was war dabei Ihr Antrieb?
Mir macht Journalismus am meisten Spaß, wenn ich das Gefühl habe, dass er relevant ist. Und diese Relevanz kann sich in unterschiedlichen Dingen zeigen. Das kann einfach schon sein, dass Leute meine Beiträge lesen oder hören und das Gefühl haben, dass sie für sich persönlich etwas daraus mitnehmen. Die nächste Steigerung wäre, dass ein Beitrag in dem Sinne relevant ist, dass er auch etwas bewirkt. Dass man Verantwortliche auf Missstände aufmerksam macht – und die Missstände dadurch vielleicht angegangen werden.Ich glaube, viele Journalistinnen und Journalisten haben auf eine Art den Anspruch, die Welt ein bisschen zu verbessern. Das ist in manchen Punkten vielleicht ein bisschen naiv. Das funktioniert aber auch. Und sei es nur in kleinen Dingen: Dass dann auf einmal der Radweg repariert wird oder die Heizung, die seit zwei Monaten von den Vermietern nicht repariert wurde, wieder funktioniert.
Titelbild: © Nassim Rad / Tagesspiegel
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Unsere Blogreihe „Journalismus und sein Publikum“ präsentiert Gespräche mit Medienschaffenden über die Beziehung zu ihren Leser*innen, Hörer*innen und Zuschauer*innen. Die Interviews entstanden im Rahmen unseres Forschungsprojektes „Journalismus und sein Publikum: Die Re-Figuration einer Beziehung und ihre Folgen für journalistische Aussagenentstehung“