Der Messenger-Dienst Telegram ist Schwerpunkt des Heftes 3-4/2023 unserer Zeitschrift Medien & Kommunikationswissenschaft (M&K). Herausgegeben wurde es von den HBI-Forschern Gregor Wiedemann, Jan-Hinrik Schmidt, Jan Rau, Felix Victor Münch und Philipp Kessling. In der eLibrary der Nomos-Verlags ist das gesamte Heft sowie alle weiteren M&K-Ausgaben ab dem Jahr 2000 als Open Access verfügbar.
Zum Heft 3-4/2023
Telegram in der politischen Öffentlichkeit
Telegram ist zu einem attraktiven Kommunikationsort für Akteur*innen der extremen Rechten geworden. In Deutschland verzeichnete Telegram mit Beginn der Coronapandemie großen Zulauf aus Kreisen von Kritiker*innen der Corona-Politik und Anhänger*innen von Verschwörungserzählungen bis hin zu offen rechtsextremen Akteur*innen. Zivilgesellschaftliche Organisationen warnen davor, dass Telegram erheblich zur Polarisierung der politischen Öffentlichkeit beitrage. Auch wenn mittlerweile eine Reihe an Telegram-Studien erschienen sind, ist die Forschungslage für Deutschland bislang noch recht überschaubar. Das vorliegende Themenheft ermöglicht eine umfangreiche Zusammenschau der Erkenntnisse zu Telegram mit Fokus auf den deutschsprachigen Raum.
Alle sieben Beiträge in diesem Heft teilen die Beobachtung, dass der Zuwachs der Telegram-Nutzer*innen eng verbunden ist mit radikalen, verschwörungstheoretischen und extrem rechten politischen Szenen sowie dem Deplatforming von Akteuren aus ebendiesen Szenen von Mainstream-Plattformen wie Facebook und Twitter. Die Beiträge setzen unterschiedliche Schwerpunkte, etwa auf regionale Aspekte (bspw. lokale Telegram-Akteure in Sachsen) oder bestimmte Bewegungsakteure (bspw. Querdenken oder die extreme Rechte). Methodisch kombinieren die Beiträge Verfahren aus den Computational Social Science (CSS), wie automatische Inhaltanalysen und Netzwerkanalysen, mit etablierten Verfahren, wie Umfragen und qualitativen Inhaltsanalysen oder Expert*inneninterviews.
In Summe verdeutlichen die Beiträge des Themenheftes, an denen auch erfreulich viele Nachwuchswissenschaftler*innen Anteil haben, wie wichtig es ist, dass die Forschung schnell auf die äußerst dynamischen Entwicklungen im Bereich der öffentlichen Kommunikation über digitale Plattformen reagiert. Gleichzeitig stellen die Herausgeber fest, dass ein großer Teil der im Call for Papers aufgeworfenen Fragen weiter offen bleibt. Die derzeit stark beachteten Forschungsfelder wie Verschwörungstheorien, gesellschaftliche Polarisierung oder die extreme Rechte auf Telegram sind zweifelsfrei relevant, doch noch wissen wir wenig über die Bedeutung des Dienstes für die Kommunikation politischer Öffentlichkeit jenseits dieser gesellschaftlichen Gefahrenzonen. Ebenfalls noch zu wenig bearbeitet ist die Stellung von Telegram im Verhältnis zu anderen Plattformen bzw. seine Einbettung in ein plattformübergreifendes Ökosystem digitaler sozialer Kommunikation.
Inhalt
Gregor Wiedemann / Jan-Hinrik Schmidt / Jan Rau / Felix Victor Münch / Philipp Kessling
Telegram in der politischen Öffentlichkeit. Zur Einführung in das Themenheft
Pablo Jost / Annett Heft / Kilian Buehling / Maximilian Zehring / Heidi Schulze / Hendrik Bitzmann / Emese Domahidi
Mapping a Dark Space: Challenges in Sampling and Classifying Non-Institutionalized Actors on Telegram
Leyla Dogruel / Simon Kruschinski / Pablo Jost / Pascal Jürgens
Distribution and Reception of Conspiracy Theories and Mobilization Calls on Telegram. Combining Evidence from a Content Analysis and Survey During the Pandemic
Katarina Bader / Kathrin Friederike Müller / Lars Rinsdorf
Zwischen Staatsskepsis und Verschwörungsmythen. Eine Figurationsanalyse zur kommunikativen Konstruktion von Gegenöffentlichkeiten auf Telegram
Nico Bodden / Henning Alexander Holec / Benjamin Hoß / Marc Ziegele / Lena Katharina Wilms
Vom Netz genommen. Die Auswirkungen von Deplatforming auf die Online-Kommunikation der extremen Rechten auf Telegram am Beispiel der Identitären Bewegung
Tobias Schrimpf / Jan Dvorak / Andreas Reich / Jens Vogelgesang
Aus dem Channel, auf die Straße! Wie die Querdenken-Bewegung ihren Protest auf Telegram organisiert – eine quantitative Netzwerkanalyse
Johannes Kiess / Gideon Wetzel
Die extrem rechte und verschwörungsideologische Telegram-Szene in Sachsen. Angebot und Nachfrage einer lokal eingebetteten Bewegung
Nikolas Dietze
Digitaler Raum(-öffner) – Lokaler Rechtsextremismus und Telegram
LITERATUR
Besprechungen
Katrin Schlör
Rudolf Kammerl / Claudia Lampert / Jane Müller (Hrsg.) (2022): Sozialisation in einer sich wandelnden Medienumgebung. Zur Rolle der kommunikativen Figuration Familie. Baden-Baden: Nomos
Gerhard Vowe
Jürgen Kaube / André Kieserling (2022): Die gespaltene Gesellschaft. Berlin: Rowohlt
Stefan Wallaschek
Anne Kurr (2022): Verteilungsfragen. Wahrnehmung und Wissen von Reichtum in der Bundesrepublik (1960–1990). Frankfurt a. M.: Campus Verlag
Yulia Yurtaeva-Martens
Friederike Oberkrome / Lotte Schüßler (Hrsg.) (2023): Arbeiten zwischen Medien und Künsten. Feministische Perspektiven auf die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts. Berlin: Neofelis
Jan Rau
Lisa Schwaiger (2022): Gegen die Öffentlichkeit. Alternative Nachrichtenmedien im deutschsprachigen Raum. Bielefeld: transcript
Andreas Schulz-Tomančok
Christian Strippel / Sünje Paasch-Colberg / Martin Emmer / Joachim Trebbe (Hrsg.) (2023): Challenges and Perspectives of Hate Speech Research. Berlin: Böhland & Schremmer
Thomas Birkner
Niklas Venema (2023): Das Volontariat. Eine Geschichte des Journalismus als Auseinandersetzung um seine Ausbildung (1870–1990). Köln: Halem
Zeitschriftenlese
Dissertationsübersicht
(Hamburg, 17. November 2023)