Der Kampfbegriff „Lügenpresse“ markiert seit einigen Jahren das Extrem eines Vertrauensverlusts, dem der Journalismus in Deutschland schleichend schon länger unterliegt. Den Medien wird von vielen nicht mehr zugetraut, die Bürger wahrheitsgetreu zu informieren. Sie stehen in Verdacht, heikle Informationen, z.B. über Moslems und Flüchtlinge, zu unterschlagen. Den Journalisten wird unterstellt, willfährige Sprachrohre der Regierenden zu sein. Manipulation und politische Kampagne sind weitere Reizworte.
Solche Urteile treffen insbesondere den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, aber auch die privatwirtschaftliche Presse. Der „Lügenpresse”-Diskurs wird vor allem im Netz geführt, er findet sich in Blogs und als affektgesteuerter Leserkommentar unter missliebigen Artikeln. Medienkritik hat sich zu einem politischen Breitensport entwickelt – was aber nicht bedeutet, dass es sportlich zuginge: Journalisten werden teils rabiat beschimpft und häufig sogar bedroht. Die Metapher von der Lügenpresse jedenfalls irritiert und provoziert, fordert heraus zu Klarstellungen über das Mediensystem und den Journalismus ebenso wie zu Reflexionen über die gesellschaftlichen Hintergründe solcher Radikalisierungen in Richtung eines dissozialen Diskurses und einer „incivility“.
In dieser Ringvorlesung, Auftakt zur neuen Reihe „Augstein Lectures“, wollen wir den Ursachen für die radikale Glaubwürdigkeitskrise, in der der Journalismus steckt, nachforschen und möglichst auch Antworten geben, was dagegen getan werden könnte – um die Akzeptanz von Journalismus als Institution gesellschaftlicher Selbstreflexion, als Frühwarnsystem, als kritische Instanz in einer freien Gesellschaft zu retten.
Die Vortragenden sind namhafte Journalistinnen und Journalisten sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der Kommunikationswissenschaft und anderen sozial- und geisteswissenschaftlichen Fächern.
Die Vorlesungsreihe wird gefördert vom Förderverein des Kontaktstudiums.
17.10.2016 Lügenpresse – eine Provokation. Was die neue Medienkritik uns sagt und wie sie produktiv zu wenden ist. Ein kommunikationswissenschaftlicher Überblick
Prof. Dr. Irene Neverla, Institut für Journalistik und Kommunikationswissenschaft, Universität Hamburg
Achtung: Hauptgebäude, Hörsaal A
24.10.2016 Nur Mut! Selbstbewusst und selbstkritisch gegen Propaganda und Verschwörungstheorien
Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur ‚DIE ZEIT‘, Hamburg; Herausgeber ‚Der Tagesspiegel‘, Berlin
31.10.2016 Streit um Berichterstattung in der deutschen Mediengeschichte. Wie Politik, Kirche und andere Akteure versuchten, Journalisten zu beeinflussen
Prof. Dr. Maria Löblich, Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaft, Freie Universität Berlin
07.11.2016 Keine Angst vor der Wahrheit – Theorie und Praxis eines Werbeslogans
Klaus Brinkbäumer, Chefredakteur ‚Der Spiegel‘, Hamburg
14.11.2016 Alles „Lügenpresse“ oder was? Zum Umfeld einer Hetzvokabel
Prof. Dr. Norbert Schneider, Publizist, Berlin
21.11.2016 „Lügenpresse“, Populismus und Verschwörungsdenken. Medienkritik zwischen berechtigtem
Anliegen und Angriff auf die offene Gesellschaft
Prof. Dr. Carsten Reinemann, Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung, Ludwig-Maximilians-Universität München
28.11.2016 Haben wir Grund, uns zu schämen? Von der notwendigen Selbstkritik der Journalisten
Jakob Augstein, Herausgeber ‚der Freitag‘, Berlin
05.12.2016 Medienkritik als Hassrede – aus der Sicht eines Betroffenen
Dr. Kai Gniffke, Erster Chefredakteur ‚ARD Aktuell‘, Hamburg
12.12.2016 Die Medien und die „Klimalüge“. Eine Geschichte ohne Ende
Prof. Dr. Michael Brüggemann, Institut für Journalistik und Kommunikationswissenschaft, Principal Investigator im Exzellenzcluster CliSAP, Universität Hamburg
19.12.2016 Körperliche Angriffe gegen Journalisten – wenn der Hass auf die „Lügenpresse“ tätlich wird
Dr. Martin Hoffmann, European Centre for Press and Media Freedom, Leipzig
09.01.2017 Verlorenes Vertrauen, verlorene Leser, verlorene Bürger? Von den Folgen des Vertrauensverlusts in die Presse
Prof. Dr. Katharina Kleinen-von Königslöw, Institut für Journalistik und Kommunikationswissenschaft, Universität Hamburg
16.01.2017 Gerüchte, Halbwahrheiten, Lügen – welche Grenzen zieht das Recht zum Schutz des zivilen
Diskurses?
Prof. Dr. Tobias Gostomzyk, Institut für Journalistik, Technische Universität Dortmund
23.01.2017 Mainstream – Innenkonform statt außenplural? Aufgaben einer kritischen Journalistik
Dr. Uwe Krüger, Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft, Universität Leipzig
30.01.2017 Trotz alledem. Von der Ehrenrettung eines systemrelevanten Berufs
Prof. Dr. Heribert Prantl, Mitglied der Chefredaktion der ‚Süddeutschen Zeitung‘
Koordination
Prof. Dr. Volker Lilienthal, Rudolf-Augstein-Stiftungsprofessur für Praxis des Qualitätsjournalismus / Prof. Dr. Irene Neverla, Professur für Kommunikationswissenschaft, beide Institut für Journalistik und Kommunikationswissenschaft, Universität Hamburg
Hauptgebäude Universität Hamburg, Edmund-Siemers-Allee 1, Flügel Ost Raum 221
Teilnahme kostenlos, Anmeldung nicht erforderlich
Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut (HBI)
Rothenbaumchaussee 36
20148 Hamburg
Tel. +49 (0)40 45 02 17 41