Das kumulative Promotionsvorhaben untersuchte Nutzerpraktiken im Hinblick auf Nachrichten auf sozialen Netzwerkplattformen.
In einer digitalen Medienlandschaft geschieht ein zunehmender Teil der Nachrichtendistribution und -nutzung im Kontext sozialer Netzwerkplattformen (SNS). Die Praktiken der Nachrichtenrezeption auf sozialen Netzwerkplattformen wurden in diesem kumulativen Dissertationsprojekt in fünf Teilstudien basierend auf drei Datenerhebungen untersucht. Mit Rückgriff auf die theoretischen Konzepte der Medienrepertoires und der Curated News Flows standen teilprojektübergreifend drei forschungsleitende Fragen nach a) der Relevanz sozialer Netzwerkplattformen im Nachrichtenrepertoire, b) der Bedeutsamkeit persönlicher Kuratierungspraktiken sowie c) den Möglichkeiten und Herausforderungen einer plattformübergreifenden Erfassung der SNS-Nachrichtennutzung im Fokus der Arbeit.
Projektbeschreibung
Die Dissertationsartikel 1 und 2 basieren auf 18 qualitativen Interviews und sechs Gruppendiskussionen in Norddeutschland zur Relevanz einzelner Informationsintermediäre im Medienalltag. Im ersten Artikel werden kontextualisierte Repertoirekarten als qualitativer Ansatz zur Untersuchung von Nachrichtenrepertoires und zum plattformübergreifenden Erfassen der SNS-Nachrichtennutzung diskutiert. Der zweite Dissertationsartikel thematisiert die Relevanz von sozialen Netzwerkplattformen und anderen Informationsintermediären in den Routinen der informationsbezogenen Mediennutzung auch relational zu anderen Medienangeboten. In den Artikeln 3 und 4 wurden niederländische Web-Tracking- und Umfragedaten kombiniert, um Verhaltensmessungen und Prädiktoren der SNS-Nachrichtenrezeption zu analysieren und in Kontext zur ebenfalls gemessenen Nachrichtenrezeption via Webseiten und Suchmaschinen zu setzen. Im Artikel 4 wurde zusätzlich noch der Anteil der Nachrichteninhalte im personalisierten Facebook-Newsfeed von Nutzer:innen untersucht, um zu analysieren, ob die Nachrichtenrezeption auf sozialen Netzwerkplattformen bestehende Ungleichheiten der Nachrichtennutzung verstärkt oder nivelliert. Der fünfte Artikel thematisiert die Prävalenz und die Prädiktoren individueller Kuratierungspraktiken (wie dem Abonnieren von Nachrichtenanbietern oder Verbergen von Nachrichteninhalten auf sozialen Netzwerkplattformen) mithilfe einer Sekundäranalyse repräsentativer Fragebogendaten aus 36 Ländern.
Studienübergreifend weisen die Ergebnisse auf eine relevante, aber nicht zentrale Position von sozialen Netzwerkplattformen im Nachrichtenrepertoire der Nutzer:innen hin. Soziale Nachrichtenplattformen sind damit nur ein Element vielfältiger nachrichtenbezogener Medienrepertoires und Nutzungspraktiken. Über soziale Netzwerkplattformen kommen insbesondere jene Nutzer:innen mit Nachrichteninhalten in Kontakt beziehungsweise rezipieren entsprechende Inhalte, die bereits ein hohes politisches oder nachrichtliches Interesse mitbringen.
Praktiken der persönlichen Nachrichtenkuratierung auf sozialen Netzwerkplattformen haben das Potential, bestehende motivationale Unterschiede in der Nachrichtennutzung zu stabilisieren: Nachrichteninteresse ist ein signifikanter Prädiktor für nachrichtenverstärkendes Kuratieren auf sozialen Netzwerkplattformen; Nachrichtenvermeidung im Allgemeinen ist auch mit nachrichtenbegrenzendem Verhalten auf sozialen Netzwerkplattformen verbunden. Diese Zusammenhänge können als weiterer Indikator für die Annahme gesehen werden, dass die Mechanismen des SNS-Nachrichtenkonsums bestehende Ungleichgewichte und Ungleichheiten in der Nachrichtennutzung verfestigen.
Allerdings zeigen Gruppenvergleiche auch, dass Nutzer:innen, die auf sozialen Netzwerkplattformen nachrichtenlimitierend kuratieren, dennoch eine höhere Anzahl von Online-Nachrichtenquellen und ein politisch vielfältigeres Onlinerepertoire berichten als jene Nutzer:innen, die ihre Nachrichteninhalte auf sozialen Netzwerkplattformen nicht kuratieren. Diese Ergebnisse können uns dazu anregen, Praktiken der (limitierenden) SNS-Nachrichtenkuratierung auch als Praktiken des Repertoiremanagements und des Nachrichtenengagements zu konzeptualisieren. Im aktuellen Medienumfeld, in dem Journalist:innen von einer Gatekeeper- zu einer Kurator:innenposition wechseln, kann die absichtsvolle Gestaltung des eigenen Social-Media-Feeds auch als Form der redaktionellen Arbeit am eigenen Informationsrepertoire verstanden werden.
In der Arbeit wurden Praktiken der SNS-Nachrichtenrezeption mithilfe drei unterschiedlicher methodischer Ansätze untersucht. Das Repertoire-Mapping in den qualitativen Interviews erleichterte die Visualisierung und Analyse crossmedialer Nachrichtennutzungspraktiken; in der vergleichenden 36-Länder-Analyse von Fragebogendaten wurde die Relevanz einer Perspektive über einen Euro-/ US-zentristischen Fokus hinaus deutlich; und das Web-Tracking ermöglichte die Erfassung weniger salienter Nachrichtennutzungsepisoden. Nichtsdestotrotz blieben methodische Desiderata hinsichtlich der Datenqualität und Validität auch in der Methodenkombination offen. Es wird vermutlich in naher Zukunft nicht die eine umfassende, kostengünstige und methodisch solide Möglichkeit geben, personalisierte Nachrichtennutzung auf sozialen Netzwerkplattformen plattformübergreifend und repertoireorientiert zu erfassen. Nichtdestotrotz sollten uns gerade die Debatten um vermeintlich starke Effekte der SNS-Nachrichtennutzung auf politische Meinungsbildung, Teilhabe und Lernen Ansporn zur weiteren Methodenentwicklung unter Einbeziehung der Expertise und Ansätze aus der Computational Social Science sein.