Kurzzusammenfassung des Gutachtens zum Medien- und Kommunikationsbericht 2017
Das unabhängige wissenschaftliche Gutachten des Hans-Bredow-Instituts soll als strukturierte, möglichst umfassende und neutrale Informationsquelle dienen, auf deren Grundlage Rahmenbedingungen sowie politische Handlungsbedarfe und -optionen erkennbar werden. Das Gutachten konzentriert sich auf öffentliche Kommunikation, besondere Aufmerksamkeit gilt dabei neuen, digitalen Angebotsformen, die zur Herstellung von Öffentlichkeit beitragen können. Zeitlich abgedeckt wird vornehmlich der Zeitraum 2013-2016, zur Betrachtung längerfristiger Entwicklungen wurden auch weiter zurückliegende Zeiträume einbezogen.
Der Zustand des Medienmarkts
Printmedien und ihre Verlage verzeichnen stetige Auflagen- und Umsatzrückgänge, bei teils hoher Marktkonzentration (insb. Tageszeitungen, Publikumszeitschriften und Fachzeitschriften). E-Books haben seit 2012 einen rasch wachsenden Absatz erfahren.
Auch der Absatz physischer
Tonträger sinkt seit vielen Jahren. Sie werden zum Teil substituiert durch entgeltpflichtige Downloads (Absatz seit 2013 rückläufig) und durch die Abonnements von Streaming-Diensten, die seit 2011 stark zugenommen haben.
Nicht zuletzt vor dem Hintergrund einer umfangreichen
Filmförderung hat die Produktion deutscher
Kinofilme über viele Jahre zugenommen. Ein vorläufiger Höhepunkt wurde im Jahre 2012 mit 241 Erstaufführungen erreicht. Seither sind es jährlich etwa 235 Filme, davon rund 150 Spielfilme. Von den Spielfilmen, die in deutschen Kinos aufgeführt werden, machen die deutschen Produktionen etwa ein Drittel aus, ein weiteres Drittel sind Filme aus den USA; auf letztere entfallen aber rund zwei Drittel des Verleihumsatzes.
2016 wurden im
Hörfunk 283 private und 70 öffentlich-rechtliche Programme terrestrisch verbreitet. Als Konkurrenz zur terrestrischen Ausstrahlung gewinnt das Internet als Verbreitungsweg für Hörfunkprogramme an Bedeutung.
Das
Fernsehen ist – bis auf Regionen mit zusätzlich analogem Kabelfernsehen – vollständig digitalisiert. Neben den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, die mit insgesamt 20 Fernsehprogrammen einen Zuschaueranteil von 45 % erreichen, existieren insgesamt 400 private Fernsehprogramme, die oft regional oder lokal ausgerichtet sind. Die zwei Unternehmensgruppen, die neben den Rundfunkanstalten die größten Zuschaueranteile auf sich vereinigen, sind die Mediengruppe RTL Deutschland (Zuschaueranteil 23,2 %) und ProSiebenSat.1 (18,9 %). Das Fernsehen wird täglich von 80 % der Bevölkerung ab 14 Jahren genutzt; die durchschnittliche tägliche Sehdauer beträgt 223 Minuten und ist seit 2010 fast unverändert.
Onlinemedien werden jedenfalls gelegentlich von 80 % der deutschen Bevölkerung genutzt, wobei Personen über 65 Jahren – trotz Zuwächsen auch in dieser Altersgruppe – deutlich unterrepräsentiert bleiben. Vorherrschende Online-Aktivitäten wie das
Suchen von Informationen sowie die
E-Mail-Kommunikation werden zunehmend erweitert durch die Nutzung von
Instant-Messaging-Diensten und den
Abruf von Bewegtbildern über das Netz.
Dabei hat sich auch die
mobile Internetnutzung vollends etabliert: 2016 gingen zwei Drittel der Internetnutzer zumindest gelegentlich von unterwegs online, und ein Drittel tat dies täglich.
Die Hälfte der Nutzer spielt mindestens gelegentlich auch
Games. Die Facetten der Angebotstypen und der ihnen zugrundeliegenden Monetarisierungsstrategien sind vielfältig.
Ein Trend ist die
Konzentrationsentwicklung hin zu wenigen zentralen Intermediären (v. a. in den Bereichen Suchmaschinen, Soziale Netzwerke, Werbeplattformen, App-Marktplätze, Videoplattformen, Video-on-Demand-Angebote). Durch eine zunehmende Ausdifferenzierung von Infrastruktur-, Distributions- und Aggregationsanbietern entsteht mit Blick auf audiovisuelle Inhalte eine neue Zugangsvielfalt.
Die zunehmende Nutzung des Internets führt insgesamt nicht zu einer unmittelbaren Verdrängung anderer Medien. Es gibt jedoch besonders
bei jüngeren Nutzern deutliche Funktionsverschiebungen: Für sie werden Online-Angebote zu den Hauptnachrichtenquellen. Dabei haben die Angebote traditioneller journalistischer Medien das größte Gewicht, aber auch Social Media und Blogs gewinnen an Bedeutung – und mit ihnen neue „integrierte“ Werbeformen wie Native Advertising oder Influencer Marketing.
Die Zahl der
Breitbandanschlüsse blieb 2016 mit 24,1 Mio. konstant, dabei sind die darüber erzielbaren Übertragungskapazitäten aber gestiegen. Auch in Mobilfunknetzen sind deutlich höhere Datenraten möglich, der Datenverkehr auf Mobilfunknetzen hat sich seit 2011 versechsfacht.
Die großen deutschen Medienunternehmen reagieren auf die ökonomischen und nutzungsbezogenen Entwicklungen mit
Crossmedia-Strategien und entfalten ihre Aktivitäten über mehrere Medienbereiche hinweg. Daneben betreiben sie zahlreiche Online-Aktivitäten, die nicht mit ihren Medieninhalten befasst sind, sondern davon unabhängig Werbung oder Dienstleistungen für Unternehmen (B2B-Services) oder Endkunden (B2C-Services) betreiben. Hinzu treten Strategien der Internationalisierung.
Trends und Herausforderungen
Die Fülle an Veränderungen im Bereich der Medien geht insgesamt mit einer tiefgreifenden
Mediatisierung aller Lebensbereiche einher. Medien sind nicht mehr nur als Hilfsmittel anzusehen, mit denen sich bestimmte kommunikative Funktionen in einem Lebensbereich komfortabler oder schneller erfüllen lassen. Vielmehr basieren heute so gut wie alle Lebensbereiche schon von vornherein auch auf mediengestützten Prozessen. Insbesondere die Onlinemedien sind dabei geprägt von zunehmender „Datafizierung“, also einer zunehmenden Repräsentation sozialer Zusammenhänge in computerisierten Daten.
Wesentlich für die öffentliche Kommunikation ist die Integrationsfunktion der Medien, doch die Mediennutzung verschiedener Teilgruppen der Gesellschaft ist sehr unterschiedlich.
Die Erweiterung und inhaltliche Ausdifferenzierung des Medienangebots für verschiedene Zielgruppen erlaubt
differenzierte Nutzungsmuster; so ist bei Musik oder Filmen nur noch in Ausnahmefällen ein altersübergreifendes Publikum zu erreichen. Es gibt eine grundsätzliche Tendenz zur
Fragmentierung des Publikums, wobei es bei den unterschiedlichen Medienrepertoires zu Überlappungen im Einzelfall kommen kann.
Zudem nehmen die Medien in vielfältiger Weise aufeinander Bezug.
Social Media bzw. die sog.
Intermediäre, die als Mittler zwischen Medienangeboten und Nutzerinnen und Nutzern auftreten, können dazu beitragen, einen
Überblick über verschiedene Medienangebote zu erhalten. Social Media und Intermediäre erbringen dabei eigene Selektions- und Sortierleistungen, die auch anhand von Informationen über die Nutzer und ihr jeweiliges Kontaktnetzwerk erfolgen. Als mögliche Folgen für die Gesellschaft werden sog.
Filterblasen diskutiert, deren Ausmaß und Relevanz jedoch empirisch noch nicht eindeutig geklärt sind.
Algorithmische Datenverarbeitung ist insgesamt für alle gesellschaftlichen Bereiche so zentral geworden, dass vermehrt diskutiert wird, auf welche Weise Algorithmen
Einfluss auf die Herstellung von Öffentlichkeit und soziale Wirklichkeit haben bzw. haben sollten.
Der kommunikative
Zugang zur Öffentlichkeit hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten
enorm vereinfacht; es beteiligen sich vielfältigere Akteure an der Herstellung von Öffentlichkeit. Neben dem professionellen Journalismus und den klassischen Massenmedien gibt es
neue Teilnehmer an öffentlicher Kommunikation: Algorithmen und Bots, Informationsintermediäre sowie Nutzerinnen und Nutzer mit eigenen Inhalten. Die automatisierte Erstellung von Inhalten gewinnt an Bedeutung.
Professioneller Journalismus ist nicht obsolet geworden, hat aber im Hinblick auf bis dato zentrale journalistische Leistungen im Zusammenhang mit der Selektion, Produktion und Distribution von Nachrichten
neue Wettbewerber um Aufmerksamkeit erhalten.
Für den Journalismus haben die sich wandelnden Medien- und Kommunikationsbedingungen auch eine
Veränderung des tradierten Verhältnisses zum Publikum zur Folge. Es kommt zu einer verstärkten Sichtbarmachung von verschiedenen Beobachtungen und Beschreibungen von Wirklichkeiten und auch zu Aushandlungen und Diskussionen über eben diese Beschreibungen (u. a. in Nutzerkommentaren und als Medienkritik/-schelte). Hieraus scheint sich eine gewisse
Erschütterung von Realitätsgewissheiten zu ergeben, für die das Aufkommen von Begriffen wie „post-truth“ oder „post-faktisch“ als Indikator gelten kann.
Die Transformation öffentlicher Kommunikation lässt sich als
undurchsichtige Transparenz beschreiben: Auf der einen Seite gibt es zu allen möglichen (sozialen) Prozessen so viele Daten wie nie zuvor, auf der anderen Seite ist z. T. unklar, auf welcher Grundlage diese Daten zustande kommen, wie und für welche Zwecke sie weiterverarbeitet werden und in welcher Form sie als Grundlage für welche Arten von Entscheidungen genommen werden – und für was sie eigentlich Indikatoren sein können, welche Aussagekraft und Reichweite sie also haben.
Die
Veränderungen des gesetzlichen Rahmens im Berichtszeitraum reagieren bereits auf die Transformationen im Bereich Kommunikation und Medien, allerdings zumeist anknüpfend an einzelne Phänomene. Dass das gesellschaftliche Gespräch gelingt und alle Bürgerinnen und Bürger einschließt, ist für die Demokratie essenziell. Auch der
Schutz der Kommunikationsfreiheiten und anderer verfassungsrechtlich geschützter Rechte und Werte bedarf gesetzgeberischen Handelns. Ob dies durch punktuelle Maßnahmen mittel- und langfristig sichergestellt werden kann, ist fraglich.
Handlungsoptionen
Vor diesem Hintergrund macht das Gutachten u. a. folgende Handlungsoptionen aus:
- Optimierung der Wissensbestände und Wissensverarbeitung in medien- und netzpolitischen Regelungsbereichen (z.B. durch Governance Labs);
- Etablierung von zentralen, umfassenden und nachhaltigen Datenrepositorien medienbezogener Entwicklungen;
- Ausarbeitung übergreifender Ansätze bei der Steuerung hochdynamischer, internationaler Medienmärkte und entsprechender Koordinations- und Kooperationsformen der legislativen und behördlichen Akteure;
- Schaffung von weichen Steuerungsinstrumenten, die die Konsistenz und Vorhersehbarkeit der Regulierung im Bereich Kommunikation und Medien erhöhen können (z.B. Weißbücher);
- Optimierung der Kooperationen im Mehrebenensystem, um Blockaden, Brüche und Widersprüche in der Medienregulierung durch Kompetenzkonflikte zu vermeiden (z.B. durch gemeinsames Medienboard)
- Umstellung der Medienordnung von Medientypenansätzen auf Ansätze spezifischer kommunikativer Handlungen, die Risiken für Rechtsgüter hervorrufen;
- insgesamt Öffnung der Regelungskonzepte hin zu flexibleren Regulierungsansätzen (u.a. Finalprogrammierung nachgelagerter Ebenen bei Delegation von Einzelentscheidungen, dynamische Verweise auf rechtsexterne Fach(er)kenntnisse, Experimentalklauseln), inklusive einer entsprechenden (externen) Institutionalisierung der Evaluierung.
Hintergrund
Der Deutsche Bundestag hat die Bundesregierung angesichts der Bedeutung der Medien für die Entwicklung der demokratischen Gesellschaft durch Beschluss vom 12. März 1976 gebeten, fortlaufend einen Medienbericht zu erstatten. Mit Blick auf die seit Mitte der 1990er Jahre rasant zunehmende Digitalisierung im Medienbereich hat das Parlament die Bundesregierung ergänzend dazu aufgefordert, einen Medien- und Kommunikationsbericht vorzulegen, der über die Fortschritte bei der Verwirklichung einer trag- und zukunftsfähigen Medien- und Kommunikationsordnung informiert.Innerhalb der Bundesregierung ist für diese Aufgabe die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) federführend. Der letzte umfassende Medien- und Kommunikationsbericht wurde im Dezember 2008 vorgelegt. In der letzten Legislaturperiode wurde angesichts der weitgehend zeitgleichen Arbeiten der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages "Internet und digitale Gesellschaft" im Einvernehmen mit den kultur- und medienpolitischen Sprechern der Fraktionen von der Erstattung eines gesonderten Berichts der Bundesregierung für die Berichtsperiode bis 2012 abgesehen.
Wie der Medienbericht 2008 sollte auch der Bericht 2017 die mit der Digitalisierung der Medienwelt einhergehenden grundlegenden technischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Veränderungen zusammenhängend darstellen und die einzelnen Handlungsinstrumente aufzeigen, deren sich die Bundesregierung bedient, um den daraus resultierenden aktuellen und - soweit heute absehbar - künftigen politischen Herausforderungen gerecht zu werden. Dabei werden die Medien gleichermaßen als Kultur- und Wirtschaftsgüter behandelt und die Medienpolitik als zentraler Bereich der Gesellschaftspolitik sowie als Querschnittsaufgabe verstanden, die wichtige Schnittstellen zur Technologie-, Wirtschafts-, Kultur-, Bildungs- und Verbraucherpolitik aufweist. Dementsprechend wurden die Entwicklungen im Wesentlichen medien-, ressortübergreifend und interdisziplinär erfasst und bewertet. Die einzelnen Mediengattungen wurden nur·noch insoweit gesondert behandelt, als sie gegenwärtig und voraussichtlich auch noch in Zukunft Besonderheiten aufweisen, aus denen sich ein spezieller medienpolitischer HIandlungsbedarf ergibt.