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Ist der Erhalt einer gesamtgesellschaftlichen Öffentlichkeit ein Ziel von Artikel 5 des Grundgesetzes?

Ist der Erhalt einer gesamtgesellschaftlichen Öffentlichkeit ein Ziel von Artikel 5 des Grundgesetzes?

Ende September 2021 diskutierte ein Expert:innen-Workshop des Hamburger Standorts des Forschungsinstituts Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ) aus verfassungsrechtlicher Perspektive die Frage, von welchen Voraussetzungen das deutsche Kommunikationsverfassungsrecht bei der Konzeption gelingender öffentlicher Kommunikation ausgeht – und welche Folgen für den Staat es hätte, lägen die Vorbedingungen für ein funktionierendes “gesellschaftliches Gespräch” nicht (mehr) vor. Eine Veranstaltungsnachlese von Amélie Heldt, Dr. Stephan Dreyer und Prof. Dr. Wolfgang Schulz.

Das Hamburger Teilprojekt “Integrationsaufgabe und Integrationsfunktion von Public Service Medien” des FGZ beschäftigt sich mit öffentlich-rechtlichen Medienangeboten und ihrer Rolle bei der Herstellung gesellschaftlichen Zusammenhalts. Im ersten Teil des Projekts geht es vorrangig um Verständnis und Reichweite eines zusammenhaltsbezogenen Funktionsauftrags für öffentlich-rechtliche Medienanbieter. Vor diesem Hintergrund hat zunächst ein kleiner Kreis ausgewiesener Expert:innen aus dem Bereich des Rundfunkverfassungsrecht die komplexen Fragen mit dem rechtswissenschaftlichen Projektteam diskutiert.
 

Interdisziplinärer Einstieg

Der Workshop sollte in seinem ersten Teil einem Abgleich zwischen den kommunikationswissenschaftlichen Ergebnissen und dem Verfassungsrecht dienen, indem aktuelle Erkenntnisse der empirischen Nutzungs- und Wirkungsforschung mit den Grundlagen des verfassungsrechtlichen Diskurses zu Prozessen einer freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung in Verbindung gebracht und diskutiert wurden. Nach einer Einführung durch Prof. Dr. Wolfgang Schulz in das geteilte Verständnis des Forschungsverbundes von gesellschaftlichem Zusammenhalt (Forst in Deitelhoff et al.) und die bisherige begriffliche Debatte in- und außerhalb des FGZ, gab Prof. Dr. Uwe Hasebrink einen Impuls zum Thema „Individuelle und öffentliche Meinungsbildung aus Sicht der Mediennutzungsforschung“.
 
Die von ihm vorgestellten Befunde ergeben (unter anderem), dass das Interesse an Nachrichten bezogen auf die Gesamtbevölkerung über die Jahre hinweg weitgehend stabil ist; dass auch in sozialen Medien Nachrichtenanbieter die wichtigsten Quellen für Informationen sind, aber – je nach Plattform – gewinnen auch nicht-journalistische Quellen an Bedeutung, insbesondere bei Jüngeren. Des Weiteren hob er die in Teilgruppen der Gesellschaft bestehende ausgeprägte Medienskepsis hervor, trotz des zuletzt angestiegenen allgemeinen Vertrauens in Nachrichten.

Für den Workshop besonders relevant war Hasebrinks Erkenntnis, dass die alltäglichen Muster der Mediennutzung eng mit der Wahrnehmung gesellschaftlicher Wirklichkeit und der politischen Orientierung verbunden sind. In der darauffolgenden Fragerunde bestätigte Hasebrink, dass etwa das Interesse des Publikums für öffentlich-rechtliche Medien und das Interesse für den gesellschaftlichen Zusammenhalt eng verwoben sind, denn Medien sind von Beginn an Teil von Sozialisationsprozessen, wobei milieuspezifische Besonderheiten zu beachten sind.

Daneben ging er auf die Frage ein, ob ein nur mäßiges Interesse an Nachrichten als gesonderte Gruppe in Befragungen abbildbar sei. Es gebe zwar eine zunehmende Zahl derer, die kein etabliertes journalistisches Angebot nutzen, aber es bestünde aus der Perspektive der sozialen Integration bislang kein Grund zur Sorge, solange es bei denjenigen nicht zu einer Abwendung von der Gesellschaft komme. Auf diese kommunikationswissenschaftliche Grundlage konnte während des Workshops zurückgegriffen werden.
 

Kommunikationsverfassungsrechtliche Maßstäbe für Public Service Medien

Der an den Impuls von Uwe Hasebrink anschließende Austausch erfolgte entlang von drei Leitfragen, die auch der Strukturierung des vorliegenden Berichts dienen:
  • Erstens, von welchen Grundbedingungen öffentlicher Kommunikationsprozesse geht Art. 5 Abs. 1 GG aus, damit die individuelle und öffentliche Meinungs- und Willensbildung offen und frei erfolgen kann?
  • Zweitens, enthält die Kommunikationsverfassung eine Garantie der Voraussetzungen institutioneller Erbringung journalistisch-redaktioneller Leistungen?
  • Drittens, welche Leistung erwartet Art. 5 Abs. 1 GG von öffentlich-rechtlichen Medienanbietern in Bezug auf ein gelingendes „gesellschaftliches Gespräch“ – ist gesellschaftlicher Zusammenhalt Voraussetzung oder Ergebnis von Art. 5 GG?


Grundbedingungen öffentlicher Kommunikationsprozesse

Anknüpfungspunkt für die erste Leitfrage bildete folgendes Zitat aus dem Spiegel-Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1966: “Der Funktion der freien Presse im demokratischen Staat entspricht ihre Rechtsstellung nach der Verfassung.” (BVerfGE 20, 162 (175)). Folglich ging es um die konzeptionelle Herausforderung im Umgang mit Verfassungsinterpretationen, sowie die Arbeit mit Brückenkonzepten (z.B. Vielfalt), die zu Annäherungen an das Verhältnis von Kommunikationsverfassungsrecht zu gesellschaftlichem Zusammenhalt führen können.

Prof. Dr. Ladeur stellte in einem Impulsvortrag sein Verständnis der Meinung- und Pressefreiheit als ‘Prozessgrundrechte’ vor. Er rief dazu auf, den technologischen und gesellschaftlichen Wandel stärker in den Blick zu nehmen. Dabei komme es weniger auf die verschiedenen Medienformen an, sondern vor allem darauf, wer in Zukunft Qualitätsinhalte produzieren werde. Insofern gebe es einen erhöhten Erkenntnisbedarf hinsichtlich selbstorganisierter Struktur- und Ordnungsbildungsprozesse für neue Formen der Wissensgenerierung.

Nachfolgend wurde die Frage diskutiert, ob man Art. 5 Abs.1 GG nicht konzeptuell “überfrachte”, indem man die objektiv-rechtlichen Gehalte über das Bereitstellen der Rahmenbedingungen hinaus stets erweitert. Wenn man sich der Ansicht anschließt, dass sich das bisherige kommunikative und mediale System grundlegend verändert, dann müsse auch das Recht darauf reagieren. Fraglich ist, ob eine Notwendigkeit rechtlicher Ordnungsbildung erkennbar werde. Angesichts des grundlegenden Wandel in dem sich die Gesellschaft durch die Digitalisierung befindet, wurde auch besprochen, welche Rolle der Gesetzgeber innehaben kann.

Es wurde einerseits für eine offene Regulierung und mehr regulierte Selbstregulierung plädiert und andererseits für ein aufmerksames Beobachten dieses Wandels, der noch nicht vollzogen sei. Daher sei Vorsicht bei der Umstrukturierung des bestehenden Mediensystems geboten, denn die Empirie lasse bisher keine Abkehr von klassischen Informationsquellen erkennen.
 

Art. 5 GG und die Erbringung journalistisch-redaktioneller Leistungen

Der zweite Komplex schloss an die (auch in der Öffentlichkeit geführte) Debatte bezüglich der institutionellen Förderung von Qualitätsjournalismus und einer journalistischen “Grundversorgung” an. Ein Voraussetzungsschutz für die freie individuelle und öffentliche Meinungsbildung wurde von vielen Diskutanten bejaht: sowohl die Medienfreiheiten als auch der Persönlichkeitsschutz und der Schutz der politischen Willensbildung seien davon umfasst. Folglich sprach sich Prof. Dr. Rossen-Stadtfeld für eine Ausgestaltung durch den Zugang zu gesellschaftlicher Kommunikation und dem Schutz vor Instrumentalisierung vor (nicht) staatlicher Macht aus. Diese mehrdimensionale Positionierung könne durch institutionelle Verselbstständigung erreicht werden, insofern sei die derzeitige Anstaltsform grundsätzlich für das Spannungsverhältnis zwischen Freiheitlichkeit und Schutz geeignet.

Im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Gewährleistungsgehalte argumentierte Prof. Dr. Müller-Terpitz, dass die Verfassung keine institutionellen Garantien enthalte. Der Gesetzgeber sei entsprechend frei und könne theoretisch die Generierung von Public-Value-Inhalten jenseits der traditionellen Akteure anregen.

Prof. Dr. von Cölln bezog sich auf die letzte Entscheidung des BVerfG und erklärte, der öffentlich-rechtliche Rundfunk sei weiterhin als Existenzvoraussetzung für den privaten Rundfunk zu verstehen. In Bezug auf die Presse würde der potenzielle Verlust an Bedeutung traditioneller Printmedien nicht zur Folge haben, dass der Staat sie finanzieren müsse. Die Verlagerung führe dazu, dass Neues entstehe.

Auch Prof. Dr. Schuler-Harms erklärte, eine Institutionalisierung der Print-Presse sei verfassungsrechtlich eher abzulehnen, weil sie in dieser Form nicht von der Verfassung verlangt wird. Prof. Dr. Schulz wies an dieser Stelle auf die Spiegelfunktion der Medien für das politische System sowie das potenzielle Bedürfnis hin, die Leistungen und Funktionen abzusichern, die für eine Demokratie erforderlich sind.
 

Art. 5 GG und gesellschaftlicher Zusammenhalt

Abschließend diskutierten die Teilnehmer:innen über die Frage, ob gesellschaftlicher Zusammenhalt Voraussetzung oder Ergebnis von Art. 5 Abs. 1 GG ist. Diesbezüglich herrschte große Übereinstimmung, dass gesellschaftlicher Zusammenhalt nicht das unmittelbare Ergebnis von Programmbetätigung im Rundfunk sei, sondern eher als normativer Maßstab bei der Interpretation und Umsetzung des Programmauftrags verstanden werden könne. Ein zentraler Stellvertreterbegriff dabei ist Vielfalt. Wird Vielfalt im Rundfunkangebot gespiegelt, weist das Programm entsprechende Möglichkeiten breiter gesellschaftlicher Anbindung auf. Sich als Rezipient:in in den dargestellten Inhalten und Sichtweisen wiederzufinden und andere Sichtweisen zu sehen und zu verstehen sei dann Kern eines Verständnisses von öffentlich-rechtlichen Rundfunk als Zusammenhaltsinfrastruktur.

Die Diskussion über Formate des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt als quasi-Bildungsauftrag verstehen und umsetzen, erscheint vor dem Hintergrund problematisch, weil es gerade nicht Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sei, die eigene Konzeption von gesellschaftlichem Zusammenhalt bei Rezipienten zu erzeugen. Als Herausforderung wurde dabei der Umstand gesehen, dass die breite Akzeptanz des Programms als Gradmesser der Auftragserfüllung durchaus ambivalent ist, weil dadurch Quotendruck erzeugt wird, der sich strukturbedingt negativ auf die Darstellung breiter Vielfalt auswirkt.
 

Fazit

Die angeregte Diskussion zeugte von der Pertinenz der Fragen, die das Projekt zu beantworten versucht. Gedanken und Ideen werden in die weitere Arbeit an der Beantwortung der rechtswissenschaftlichen Leitfrage im Projekt einfließen. Weitere Perspektiven auf die Funktion öffentlich-rechtlicher Medienanbieter für gesellschaftlichen Zusammenhalt sollen im Rahmen einer Veranstaltung mit Akteuren aus der (Medien- und Zusammenhalts-)Praxis gesammelt werden, die für 2022 geplant ist.  

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